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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau
Autoren: Oliver Susami
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Buchstaben H. Und dann ging das Ganze wieder von vorne los. Der kleine, bärtige Mann (Er hatte wirklich etwas von einem Hobbit … aber hatten Hobbits Bärte?) setzte seinen Finger an der ersten Reihe an und sofort blinzelte Frau Schneider. Also Reihe eins. Er kam nicht dazu, seinen Finger die Reihe entlanggleiten zu lassen. Wieder blinzelte Frau Schneider sofort. Also das A ... HA. Als nächstes wählte die alte Frau den Buchstaben L.
    „Meinen Sie Hallo?”, fragte der Pfleger. Frau Schneider blinzelte einmal.
    „Weiter?”
    Wieder einmal.
    Das Spiel begann von vorne und diesmal bildete Frau Schneider die Buchstabenkombination LUK. Lukas verstand. Er lächelte die alte Frau an und sagte.
    „Hallo Frau Schneider.”
    „Ich sehe, Sie haben es raus”, sagte der Pfleger. „Ich lass Sie beide jetzt mal allein. Ich muss noch ein bisschen was arbeiten.”
    Mit diesen Worten drückte er Lukas das Brett mit den Buchstaben in die Hand und verließ das Zimmer. Lukas war allein mit der gelähmten Frau, die ihm direkt in die Augen sah. Hinter einem Vorhang in der Mitte des Zimmers stand noch ein weiteres Bett, die Frau darin schien zu schlafen, Lukas hörte nur die Geräusche der Geräte, die ihren Zustand überwachten ... oder sie am Leben erhielten. Vielleicht lag sie ja im Koma.
    „Es tut mir leid, dass ich Sie nie besucht habe. Ich hatte mir das immer wieder vorgenommen. Aber irgendwie war ich auch ganz froh, aus Rothenbach weg zu sein. Sie wissen ja.”
    Die alte Frau blinzelte einmal.
    „Ich wohne ja jetzt in Freiburg, hier ganz in der Nähe … das wissen Sie ja. Mein Bruder lebt mittlerweile oben in Hamburg. Ähm ... sollen wir das mit dem Brett probieren? Ich hab so etwas noch nie gesehen.”
    Wieder blinzelte Frau Schneider einmal. Lukas ließ seinen Finger über das Holz gleiten und nach etwa zwei Minuten hatte Frau Schneider „Kein Problem” gesagt. Lukas musste lachen und drückte ihre Hand. Er erinnerte sich an die Späße, die sie früher mit ihm und seinem Bruder gemacht hatte. Manchmal waren ihr die Kinder zu laut. Dann erklärte sie ihnen, sie müssten ganz still sein, dann könnten sie hören, wie die Mäuse Pipi machten. Tatsächlich hatten Lukas und sein Bruder den Atem angehalten. Gehört hatten sie nie etwas.
    „Möchten Sie noch etwas sagen?”
    Sie blinzelte einmal und Lukas legte wieder seinen Finger auf das Brett. Nach einigen Minuten hatte sie „Sehr wichtig” gesagt. Und dann „Sie ist immer noch da”.
    Als Lukas kurz nach 16 Uhr die Intensivstation verließ, da glaubte er, sich übergeben zu müssen. Ihm war kalt und sein Magen krampfte sich zusammen. Er ging auf eine der Toiletten und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ging er in eine der Kabinen, schloss ab, klappte den Klodeckel runter und setzte sich. Jemand kam herein und drückte die Klinke. Lukas reagierte nicht. Mit verschränkten Armen saß er da und starrte ins Leere. Jemand klopfte an die Tür.
    „Dauert das noch lange bei Ihnen?”
    „Ja”, sagte Lukas.
    „Was machen Sie überhaupt da drin?”
    Am liebsten hätte er die Tür aufgerissen, sich den Kerl gepackt und seinen Kopf in die Kloschüssel gedrückt.
    „KANN MAN NICHT MAL MEHR IN RUHE SCHEISSEN?”
    „Schon gut, schon gut.”
    Lukas hörte die Tür, der Typ war weg. Dann saß er wieder nur da und starrte ins Leere. Nur das leise Rauschen der Lüftung.
    Sie war also immer noch da. Was nun?
     
    *
     
    Lukas hatte das Gebäude verlassen. In seiner Tasche befand sich ein dreifach gefaltetes Stück Papier, er spürte es an seinem Oberschenkel. Frau Schneider hatte ihm einen Namen und eine Adresse diktiert, allerdings keine Telefonnummer. Es war eine Rothenbacher Adresse.
    Etwa eine halbe Stunde lief Lukas in der Gegend herum. Er überquerte zwei Kreuzungen, riss ein paar Blätter aus einer Gartenhecke und bemerkte, dass er überhaupt kein Ziel hatte. Wo zum Teufel war er überhaupt? Er ging in eine Tankstelle, kaufte sich ein Bier, fand einen Park, setzte sich auf eine Bank und machte mit seinem Taschenmesser die Flasche auf. Eine junge und zu dünne Frau schob einen Kinderwagen an ihm vorbei und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Sah er aus wie ein Penner?
    „Scheißegal”, sagte Hank, Lukas' Punkseite. „Das ist alles völlig scheißegal. Soll sie doch glotzen, die blöde Kuh mit ihrem blöden Kinderwagen.”
    Lukas trank sein Bier aus, stellte die Flasche neben die Bank auf den Boden und setzte sich in Bewegung. Er marschierte Richtung
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