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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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Horsa und die Seinen hatten sich inzwischen so lange an Stränden oder in der Nähe von Stränden aufgehalten, dass sie alles darüber und über das Meer wussten, das sich jeden Augenblick verändern konnte.
    Als Horsa von einem Mädchen erfuhr, dass man von einem kleinen Hügel aus über die Baumwipfel und das Meer hinweg
seine
Küste schimmern sehen konnte, kletterte er dort hinauf. Sie schienen so nah zu sein, die rosig perlmutternen Streifen, die wie das Innere einer Muschel aussahen und als offenbar immerwährendes Zeichen die dunkelblaue Wolke mit sich führten. Horsa ließ sich dort oben nieder und träumte, doch als die anderen unruhig wurden, stieg er den Hügel hinab und ging zu den kleinen Jungen, die sich so rasch erholt hatten, dass einige sogar noch einen Vorstoß in die Höhlen unternehmen wollten.
    Dann kehrten Jäger zurück und berichteten von einem tiefen Brunnen oder einer Grube voller Knochen … ja, sie hätten durchaus an die Knochen in der Kluft gedacht. Es dauerte eine Weile, bis sie zugaben, dass sie Steine in die Grube geschleudert hatten und dass es zu einer Explosion gekommen war: Die Steine hatten einen Einschluss oder auf andere Weise eingelagertes Gas getroffen, das kurz vor dem Explodieren gewesen war. Sie waren ein wenig betreten, aber nicht sehr, nur Horsa war wütend und sagte, es dürfe keinerlei Provokationen dieser Art mehr geben. Der Knall der Explosion habe sicher Tiere und Vögel aufgestört. Er sagte ihnen immer, sie seien zu laut und würden im Wald Unruhe stiften.
    Manchmal waren die Jäger länger als einen Tag unterwegs, bis sie auf Wild trafen. Das hing mit einer anderen Schwierigkeit zusammen: Was die Ernährung anging, so waren alle davon abhängig, dass die Jäger erlegte Tiere brachten, die über dem Feuer zubereitet wurden. Doch die jungen Männer jagten nicht genug: Sie erforschten lieber Höhlen und Hügel, in denen sie immer neue Tunnelsysteme entdeckten. Es waren immer Früchte vorhanden, denn die Mädchen holten sie aus dem Wald – eine Aufgabe, die den Jungen zu harmlos war. Aber die Mädchen konnten nicht alle ernähren, selbst wenn gerade keine schwanger war und es keine Kinder gab, die sie vom Sammeln abhielten.
    Doch nachdem Horsa eine große Jagd angeordnet hatte, tropfte wieder das Fett erlegter Tiere ins Feuer, und die Flammen schlugen bis in die Zweige empor, sodass die Blätter am Morgen trocken und fahl herabhingen.
    Die Chronisten führten an, dass die Frauen die Männer bei Bedarf mühelos hätten verfolgen können, nämlich anhand der Asche ihrer Feuer, anhand der Knochen und der Bäume, deren Äste von Flammen versengt herunterhingen.
    Sie sprachen davon, dass sie die Küste der Frauen bald erreichen würden, und der Grund dafür war, dass sie sich genau das erhofften. Ihr Verlangen, nicht nur nach Vereinigung, sondern nach den Frauen selbst, machte sie unruhig, ungeduldig und hoffnungsfroh. Ob sie die Schelte vermissten, das Nörgeln? »Maronna würde dieses sagen und jenes sagen«, merkte Horsa bisweilen an. Sie hätte sicher nicht viel von der Explosion gehalten, die sie in der Grube verursacht hatten, die der wirklichen Kluft so ähnlich war.
    Sie beschlossen, sich wieder in zwei Gruppen zu teilen, von denen eine durch den Wald und die andere durch die darunterliegenden Höhlen ziehen sollte, wenn es denn Höhlen gab. Also brachen sie auf, und Horsa hatte wiederum die Befehlsgewalt, auch wenn er sich mit seinem Stock langsam und unbeholfen bewegte.
    Von jenem Teil der großen Reise gibt es nur spärliche Aufzeichnungen. Ein Tag muss mehr oder weniger wie der andere gewesen sein. Die anfängliche Zuversicht, mit der sie von jenem Strand aufgebrochen waren, an dem man Horsas lockendes Land sehen konnte, verließ sie. Und Horsa schien zu spüren, dass er sich mit diesen letzten Schritten der Reise täglich weiter von dem perlmutternen Schimmer am Horizont entfernte, nach dem er sich sehnte. Es war kein Hügel mehr zu finden, der eine Aussicht dorthin erlaubte, doch als Horsa von einer Anhöhe aus einen Wasserfall glitzern und glänzen sah, fragte er sich, ob der Lichtschein, den er gesehen und für einen Blitz gehalten hatte, vielleicht von Wasser herrührte, in dem sich die blendende Sonne spiegelte.
    Doch wie ging es inzwischen an der weiblichen Küste zu, bei den Frauen, von denen die Männer immer öfter sprachen, an die sie dachten? Die Frauen warteten … und warteten. Auf die Rückkehr der … nun, zum einen wollten sie ihre Kinder
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