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Die Kluft: Roman (German Edition)

Die Kluft: Roman (German Edition)

Titel: Die Kluft: Roman (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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So hatten sie wenigstens Namen, um sie den wartenden Frauen zu nennen – an die sie immer häufiger dachten.
    Für lange Zeit hatte niemand die Frauen erwähnt oder an sie gedacht, doch nun, nicht zuletzt wegen der verirrten Kinder, sprachen sie von Maronna und fragten sich, was sie zu all dem sagen würde. Die Männer sprachen immer öfter davon, dass es längst an der Zeit war umzukehren. Demnach wussten sie nicht nur, dass sie es waren, die für Schwangerschaften sorgten, sie wussten auch, dass Zeit etwas Wichtiges war – Zeiträume. Unsere Ahnen, unsere fernen Vorfahren erwähnten nie, wie sie die Zeit maßen, soweit wir das aus ihren Aufzeichnungen wissen, aber sie brachten die Entstehung der Kinder mit Zeit in Verbindung. Wenn die Männer um ihre Feuer saßen, die bei Flut lange, scharlachrote und goldene Reflexe auf die Wellen warfen, sprachen sie von den Frauen, die auf sie warteten, und abgesehen von den Witzen, die sie höchstwahrscheinlich rissen (ich stelle mir eine Gruppe von Legionären vor, die um ein Feuer sitzen und an wartende Frauen denken), war sicher auch davon die Rede, dass Maronna besorgt sein würde, dass sie böse mit ihnen sein würde, wenn sie schließlich erschienen. Doch was glaubten sie, wann es so weit wäre?
    Sie hatten vor, die Insel so weit wie möglich zu umrunden beziehungsweise irgendwann die Küste der Frauen zu erreichen. Ob sie inzwischen wussten, dass sie sich vielleicht auf einer Insel befanden?
Wir
wissen es, was unsere Vorstellung von dieser Reise Form und Begrenzung verleiht. In dem großen Fluss im Tal gab es schließlich Inseln, und wenn sie langsam mit ihrem Geschwader die Küstengewässer durchmaßen, müssen sie auf Inseln gestoßen sein, auf von Wellen umspültes Land. Ob Horsa in jener lockenden, bezaubernden Küste die Küste einer Insel sah? Das Wort benutzte er nie. Vielleicht hätte der Gedanke, dass sein leuchtender Ort von einer begrenzenden Linie umschlossen war, die Vorstellung davon verdüstert.
    Noch etwas geschah, während sich die Jungen erholten – die Geschichtsschreibung besagt unmissverständlich, dass sie sich sowohl geistig als auch körperlich erholen mussten. Größere Jungen, die zu mitleidigem Verständnis für die zu Tode erschrockenen Kinder neigten, verbrachten ihre Zeit mit ihnen, sprachen mit ihnen und hörten zu, wie auch die Mädchen, doch dann gebar ein Mädchen ein Kind, das sofort starb. Alle waren erschrocken. Wie kam es, dass das Neugeborene ohne jeden Grund und ohne Vorwarnung starb? An diesem Strand gab es keine giftigen Stechfliegen. Und hier lesen wir zum ersten Mal, dass dieses Kind einen Wert besaß, weil doch so viele verschwunden waren. Die solchermaßen beraubte Mutter war untröstlich, und obwohl alle ihr Schluchzen und ihre Trauer lästig fanden, waren sie mit ihr geduldiger als früher mit anderen weinenden Müttern. Wieder war von Maronna die Rede: Wie kam es, dass die Kinder hier bei ihnen starben, während es bei den Frauen nicht dazu kam, so weit sie sich erinnerten?
    Als sich die Gruppe auf den Weg »nach Hause« machte – dieser Ausdruck wurde tatsächlich benutzt, woran man sieht, dass sich die Empfindungen verändert hatten –, war niemand mehr so sorglos wie zuvor. Die Kinder und die unglückliche Mutter waren offenbar weit genug genesen, um reisen zu können, und nun musste darüber beraten werden, in welche Richtung man gehen wollte.
    Als die jungen Jäger im Dickicht einen Hasen verfolgten, hatten sie in den Klippen eine Höhle gefunden, die sie für bedeutend hielten, weil sie hoch und breit war und sich in der Tiefe nicht in hundert kleine Tunnel teilte, sondern flach und gerade verlief. Offenbar wurde sie von Tieren genutzt. Hier lebten große und kleine Tiere, die von Lärm und Tumult der Jäger vertrieben worden waren. Überall im Staub der Höhle waren Fährten zu sehen. Wieder stellt sich die Frage: Was für Tiere? Riesige Bären? Schweine? Großkatzen? Wie fremd es uns ist, dass diese Leute gar nicht das Bedürfnis verspürten, zu fragen: Was? Wie viele? Wie?
    Die Tiere waren geflohen, doch offenbar brachten die jungen Männer ihr Verschwinden gar nicht mit dem Getöse in Verbindung, das sie mit ihren eiligen Schritten, den Rufen, dem Geschrei, den Steinen verursachten, die sie an die Höhlenwände warfen, um ein Echo zu erzeugen. Bevor sie beschlossen, die große Höhle zumindest zum Ausgangspunkt ihrer Heimkehr zu machen, gingen einige Mädchen noch einmal in die erste Höhle, riefen die
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