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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik
Autoren: Noah Gordon
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Laken lagen die orangefarbenen Blumenblätter. Sie schlief tief, die Glieder entspannt, das Haar schwarz und zerzaust, das Gesicht ohne Bitterkeit, im Blute des Lamms gewaschen.
    Er stand auf und zog sich an, ohne sie zu wecken, verließ die Wohnung und fuhr ins Krankenhaus, ein neuer Mann für einen neuen Tag.
     
    Mittags rief er an, aber es meldete sich niemand. Nachmittags hatte er sehr viel zu tun. Dr. Kender war zurückgekommen und hatte zwei Konsiliarprofessoren namens Powers und Rogerson aus Cleveland mitgebracht, und sie gingen alle zusammen auf Nachmittagsvisite, eine lang hinausgezogene Formalität.
    Um sechs Uhr rief er wieder an. Als sich diesmal niemand meldete, bat er Lee, einzuspringen, und fuhr in seine Wohnung in die Charles Street.
    »Liz«, rief er, als er das Haus betrat.
    In der Küche war niemand; auch im Wohnzimmer nicht. Das Arbeitszimmer war leer. Im Schlafzimmer standen einige Kommodenladen offen, ebenfalls leer. Ihre Kleider fehlten.
    Ihr Schmuck.
    Hüte, Mäntel, Gepäck.
    »Miguel«? rief er leise, aber sein Sohn antwortete nicht, er war mit seiner Mutter verschwunden.
    Er ging hinunter und fuhr zur Wohnung Longwoods, in die ihn eine grauhaarige Dame, eine Fremde, einließ.
    »Das ist Mrs. Snyder, eine alte Freundin von mir«, sagte Longwood. »Marjorie, das ist Dr. Meomartino.«
    »Elizabeth ist weg«, sagte Rafe.
    »Ich weiß«, sagte Longwood ruhig.
    »Wissen Sie, wohin?«
    »Fort, mit einem anderen Mann. Das ist alles, was sie mir sagte. Sie verabschiedete sich heute früh von mir. Sie sagte, sie würde schreiben.« Er sah Meomartino haßerfüllt an.
    Rafe schüttelte den Kopf. Anscheinend gab es sonst nichts zu sagen. Er wollte gehen, aber Mrs. Snyder folgte ihm in den dunklen Flur.
    »Ihre Frau rief mich an, bevor sie wegging«, sagte sie.
    »Ja?«
    »Deshalb bin ich hergekommen. Sie sagte mir, Harland müsse heute zur Behandlung an irgendeinen Apparat ins Krankenhaus.«
    Er nickte und blickte in das besorgte alternde Gesicht, ohne wirklich zu verstehen, was sie sagte.
    »Er will aber nicht«, sagte sie.
    Was geht das mich an, dachte er zornig.
    »Er weigert sich absolut«, sagte sie. »Ich glaube, er ist sehr krank. Manchmal hält er mich für Frances.« Sie sah ihn an. »Was soll ich machen?«
    Ihn sterben lassen, dachte er; wußte sie nicht, daß ihn seine Frau verlassen hatte, daß sein Sohn fort war?
    »Rufen Sie Dr. Kender im Krankenhaus an«, sagte er. Er ließ sie stehen, und sie starrte ihm nach.
     
    Am nächsten Morgen wurde er im Krankenhaus gesucht, und als er sich meldete, teilte man ihm mit, ein Mr. Samourian warte im Empfang auf ihn. »Wer?«
    »Mr. Samourian.«
    Ah, dachte er und erinnerte sich an Kittredges Liste der Mieter im vierten Stock. »Ich komme sofort.«
    Der Mann war eine Enttäuschung, Mitte Vierzig, mit ängstlichen braunen Spanielaugen, einer beginnenden Glatze und einem graugesprenkelten Schnurrbart. Unglaublich, daß seine Ehe, sein Familienleben an diesem kleinen untersetzten Mann gescheitert war.
    »Mr. Samourian?«
    »Ja. Dr. Meomartino?«
    Verlegen reichten sie einander die Hand. Es war wenige Minuten nach zehn Uhr, der Kaffeesalon und Maxies Laden würden für ein Gespräch unter vier Augen zu voll sein. »Wir können hier miteinander reden«, sagte er und ging zu einem Beratungszimmer voraus.
    »Ich bin gekommen, um wegen Elizabeth mit Ihnen zu sprechen«, sagte Samourian, als sie sich setzten.
    »Ich weiß«, sagte Rafe. »Ich habe Sie beide schon seit einiger Zeit von einem Detektiv beobachten lassen.«
    Der Mann nickte, den Blick auf ihn geheftet. »Ich verstehe.«
    »Was haben Sie für Pläne?«
    »Sie und der Junge sind an der Westküste. Ich fahre zu ihnen.«
    »Man sagte mir, Sie seien Doktor«, sagte Rafe. Samourian lächelte. »Der Philosophie. Ich unterrichte Wirtschaftslehre am MIT, aber ab September lese ich in Stanford«, sagte er. »Sie will die Scheidung sofort einreichen. Wir hoffen, daß Sie einwilligen.«
    »Ich will meinen Sohn haben«, sagte Rafe. Seine Kehle schnürte sich zusammen. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht so klar gewesen, wie sehr er ihn haben wollte.
    »Auch sie will ihn haben. Im allgemeinen sind Scheidungsgerichte der Ansicht, daß es das Beste für Kinder ist, bei ihren Müttern zu bleiben.«
    »Vielleicht wird das diesmal nicht so sein. Wenn sie versucht, ihn von mir fernzuhalten, werde ich Einspruch erheben und meinerseits die Klage einreichen. Ich habe genügend Beweise. Schriftliche Berichte«,
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