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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester
Autoren: Raymond Chandler
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sei vor ein paar Wochen weggezogen, und er wüßte nicht wohin und es wäre ihm auch egal, alles was er wollte, wäre ein guter Schuß Gin. Ich verstehe nicht, wieso Orrin überhaupt in so einem Haus wohnen konnte.«
    »Haben Sie gesagt >ein Schuß Gin    Sie errötete. »So hat es der Verwalter gesagt. Ich erzähl's Ihnen nur wieder.«
    »Schon gut«, sagte ich. »Weiter.«
    »ja, dann rief ich an seinem Arbeitsplatz an. Sie wissen, die Cal-Western-Company.
    Und die sagten, er ist entlassen worden, zusammen mit vielen anderen, und weiter wüßten sie nichts. Dann ging ich zum Postamt und fragte, ob Orrin eine Adressenänderung irgendwohin angegeben hätte. Und sie sagten, sie könnten mir keine Auskunft geben. Das wäre gegen die Vorschriften. Also sagte ich ihnen, wer ich sei, und der Mann sagte, naja, wenn ich seine Schwester wäre, würde er nachsehen.
    Also ging er nachsehen und kam zurück und sagte nein. Orrin hatte keine Adressenänderung angegeben. Er hätte vielleicht einen Unfall haben können oder was.«
    »Haben Sie mal dran gedacht, die Polizei danach zu fragen?«
    »Ich würde nicht wagen, die Polizei zu fragen. Orrin würde mir das nie verzeihen. Selbst in guten Zeiten ist es schon schwierig mit ihm. Unsere Familie ... «, sie zögerte, und da war was in ihren Augen, das sie da nicht haben wollte. So fuhr sie atemlos fort: »Unsere Familie ist nicht so eine Familie ... «
    »Hören Sie«, sagte ich müde, »ich rede ja nicht von einem Burschen, der Brieftaschen stiehlt. Ich rede davon, daß er vielleicht von einem Auto angefahren wurde und sein Gedächtnis verloren hat oder zu schwer verletzt ist, um reden zu können.«
    Sie warf mir einen abschätzigen Blick zu, nicht gerade bewundernd. »Wenn es so was wäre, würden wir es wissen«, sagte sie. »Jeder hat irgendwelche Sachen in den Taschen, an denen man sieht, wer er ist.«
    »Manchmal sind nur die Taschen übrig.«
    »Wollen Sie mir Angst machen, Mr. Marlowe?«
    »Anscheinend würde ich damit nicht weit kommen! Also bitte, was, glauben Sie denn, ist passiert?«
    Sie legte ihren dünnen Zeigefinger an ihre Lippen und berührte sie sehr vorsichtig mit dieser Zungenspitze. »Ich schätze, wenn ich das wüßte, wäre ich nicht zu Ihnen gekommen. Wieviel verlangen Sie dafür, ihn zu finden?«
    Einen langen Augenblick lang gab ich ihr keine Antwort darauf, dann sagte ich: »Sie meinen, allein, und niemandem was sagen?«
    »Ja. Ich meine, allein und niemandem was sagen.«
    »Hm, hm. Kommt drauf an. Ich habe Ihnen gesagt, was mein Tarif ist.« Sie hielt ihre Hände über dem Schreibtischrand gefaltet und preßte sie fest zusammen. Sie hatte so ungefähr die sinnloseste Kollektion von Gesten, die ich je gesehen habe. »Ich dachte, wo Sie doch Detektiv sind und so, da könnten Sie ihn ganz schnell finden«, sagte sie.
    »Ich kann unmöglich mehr aufbringen als zwanzig Dollar. Ich muß mir hier mein Essen bezahlen und mein Hotel, und die Rückfahrt, wissen Sie, das ist so furchtbar teuer, und das Essen im Zug ... «
    »In was für einem Hotel wohnen Sie denn?«
    »Ich - ich will's Ihnen lieber nicht sagen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Warum?«
    »Ich will einfach lieber nicht. Ich habe so eine furchtbare Angst vor Orrins Zorn. Und dann, ich kann Sie doch immer anrufen, oder?«
    »Hm, hm. Also wovor haben Sie nun eigentlich Angst, Miss Quest, außer vor Orrins Zorn?« Meine Pfeife war mir ausgegangen. Ich riß ein Streichholz an, hielt es über den Pfeifenkopf und beobachtete sie dabei.
    »Ist Pfeiferauchen nicht eine sehr schmutzige Gewohnheit?«
    »Wahrscheinlich«, sagte ich. »Aber, damit ich es aufgebe, braucht es mehr als zwanzig Dollar. Und versuchen Sie nicht immer, meine Fragen zu umgehen.«
    Sie fuhr auf. »,% können Sie nicht mit mir reden. Pfeiferauchen ist eine schmutzige Gewohnheit. Mutter erlaubte Vater nie, im Haus zu rauchen, nicht mal in den letzten zwei Jahren, nachdem er seinen Schlaganfall gehabt hatte. Manchmal saß er so mit seiner leeren Pfeife. Aber sie mochte das nicht besonders. Wir hatten auch viele Schulden, und sie sagte, sie könnte es sich nicht leisten, ihm für unnütze Sachen wie Tabak Geld zu geben. Die Kirche brauchte es nötiger als er.«
    »Allmählich begreife ich«, sagte ich langsam. »In so einer Familie wie Ihrer muß ja einer mit einem schwarzen Pelz dabei sein.«
    Sie stand abrupt auf und preßte ihren Erste-Hilfe-Koffer an ihren Körper. »Ich mag Sie nicht«, sagte sie. »Ich glaube nicht,
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