Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
Kumpel.«
    »Wer sind Sie denn?«
    »Was interessiert Sie das?«
    »Ich will ein Zimmer.«
    »Keins frei, Kumpel. Kannst du keine großen Buchstaben lesen? «
    »Ich hab zufällig was anderes gehört«, sagte ich.
    »Ach nee?« Er klopfte die Asche von seiner Zigarette, indem er mit einem Nagel dran schnippte, ohne die Zigarette aus seinem schmalen, traurigen Mund zu nehmen.
    »Bohr's dir mit'm Finger ins Hirn.«
    Er ließ seinen Stuhl wieder nach vorne kippen und machte weiter mit dem, was er machte.
    Ich machte ein Geräusch, als ich von der Veranda stieg, und kein Geräusch, als ich wieder raufstieg. Ich probierte die Fliegentür vorsichtig. Sie war zugehakt. Ich hob den Haken mit der offenen Klinge eines Taschenmessers und kriegte ihn aus der Öse. Das klimperte ein bißchen, aber da drüben, in der Küche, wurde lauter geklimpert.
    Ich trat in das Haus, durchquerte den Lieferantenvorplatz, ging durch die Tür in die Küche. Der kleine Mann war zu beschäftigt, um mich zu bemerken. Die Küche hatte einen Gasherd mit drei Flammen, ein paar Borde mit fettigem Geschirr, einen angeschlagenen Eisschrank und die Frühstücksnische. Der Tisch in der Frühstücksnische war mit Geld bedeckt. Das meiste waren Scheine, aber Münzen waren auch dabei, bis zu Dollarstücken. Der kleine Mann zählte es, machte Häufchen und machte Eintragungen in einem kleinen Notizbuch. Er feuchtete seinen Bleistift an, ohne die Zigarette zu berühren, die in seinem Gesicht befestigt war. Es müssen wohl mehrere Hundert Dollar auf dem Tisch gewesen sein.
    »Zahltag?« fragte ich jovial.
    Der kleine Mann drehte sich schnell um. Einen Augenblick lang lächelte er und sagte nichts. Es war das Lächeln eines Mannes, dessen Gedanken nicht lächeln. Er entfernte den Zigarettenstummel aus dem Mund, ließ ihn auf den Boden fallen und trat darauf. Er zog eine neue aus seinem Hemd, steckte sie in dasselbe Loch in seinem Gesicht und fing an, nach einem Streichholz zu suchen.
    »Gut, wie Sie reinkamen«, sagte er liebenswürdig.
    Da er kein Zündholz fand, wandte er sich lässig zu seinem Stuhl und langte in die Jackentasche. Etwas Schweres bumste an das Holz des Stuhls. Ich hatte ihn am Handgelenk, bevor das schwere Ding aus der Tasche heraus war. Er warf sich mit dem Körper zurück, und die Jackentasche erhob sich in meiner Richtung. Ich entriß ihm den Stuhl.
    Er setzte sich hart auf den Fußboden und schlug mit dem Kopf an das Ende des Frühstückstisches. Das hinderte ihn aber nicht daran, mir in den Unterleib zu treten. Ich trat zurück, mit der Jacke in der Hand und holte eine 0.38 aus der Tasche, an der er herumgespielt hatte.
    »Sitzen Sie doch nicht so auf dem Boden herum, bloß damit es gemütlich aussieht«, sagte ich.
    Er richtete sich auf; er tat sehr angeschlagen, mehr als er war. Seine Hand tastete hinten an seinem Kragen herum, es blinkte metallisch hell, als sein Arm auf mich zuschoß. Er war schon ein scharfer kleiner Kampfhahn.
    Ich wischte ihm eine ans Kinn mit seinem eigenen Schießeisen, und er setzte sich wieder auf den Boden. Ich trat auf die Hand, die das Messer hielt. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, aber er gab keinen Ton. Also stieß ich das Messer in eine Ecke. Es war ein langes, dünnes Messer, und es sah sehr scharf aus.
    »Sie sollten sich schämen«, sagte ich. »Mit Revolvern und Messern auf Leute loszugehen, die bloß ein Dach überm Kopf suchen. Sogar heutzutage ist das unüblich.«
    Er hielt seine schmerzende Hand zwischen den Knien, drückte sie und fing an, durch die Zähne zu pfeifen. Der Klaps ans Kinn hatte ihm anscheinend nicht weh getan.
    »Okay«, sagte er. »Okay. Ich bin auch nicht vollkommen. Nimm das Geld und hau ab.
    Aber glaub ja nicht, daß wir dich nicht kriegen.«
    Ich betrachtete die Kollektion von kleinen Scheinen und mittleren Scheinen und Münzen auf dem Tisch. »Man zahlt Ihnen wohl nicht gern, da Sie solche Waffen mit sich führen«, sagte ich zu ihm. Ich ging rüber zu der Tür nach innen und probierte sie. Sie war nicht verschlossen. Ich schaute zurück.
    »Ich werfe Ihre Kanone in den Briefkasten«, sagte ich. »Das nächstemal lassen Sie sich die Marke zeigen.«
    Er pfiff noch immer leise durch die Zähne und hielt seine Hand. Er sah mich verkniffen, nachdenklich an, dann wischte er das Geld in eine schäbige Aktentasche und drückte sie zu. Er nahm seinen Hut ab, glättete ihn, setzte ihn wieder schräg auf den Hinterkopf und schenkte mir ein ruhiges, wirkungsvolles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher