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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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anderer gewesen als heute, ein Junge, der die Welt noch mit den Augen eines Kindes sah.
    Damals hatte er das Buch verschlungen: König Artus und die Ritter der Tafelrunde. Er hatte sich in seiner Fantasie ausgemalt, wie es wäre, wenn er selber eines Tages entdeckte, dass er in Wirklichkeit ein unerkannter König sei – aber die Gelegenheit war nie gekommen. Und später schämte er sich fast ein wenig für diese Gedanken. Doch er konnte sich heute noch an jede einzelne der alten holzschnittartigen Illustrationen erinnern, mit edlen Rittern und schönen Frauen, weisen Zauberern und finsteren Schurken, wie es sie im wirklichen Leben niemals gab.
    Oder etwa doch?
    Sein Mund war so trocken, dass er kaum sprechen konnte. »Ist das alles etwa …«
    Ist das alles etwa echt?, hatte er sagen wollen, doch in dem Augenblick, als er seine eigenen Worte hörte, wurde ihm klar, dass es eine blödsinnige Frage war.
    »Echt?« Hagen lachte. »Ich muss dich enttäuschen. Mein Urgroßonkel hat das alles erbauen lassen. Tiefstes neunzehntes Jahrhundert. Ich richte es nur für die Touristen wieder her.«
    Er musste die Enttäuschung in Siggis Augen gelesen haben, denn er fuhr fort: »Aber es ist verdammt gut gemacht. Schau mal: die Tafelrunde.«
    Mit einer weit ausholenden Armbewegung zog er die grüne Plastikplane von dem runden Tisch. Er war nicht einmal besonders groß, vielleicht anderthalb Meter im Durchmesser, und die Bretter, aus denen er zusammengezimmert war, hatten Risse bekommen, sodass mitten durch die Platte ein fingerbreiter Spalt ging. Und er war auch nicht wirklich rund, eher achteckig. Die abwechselnd roten und weißen Felder, jeweils vier Dreiecke, die sich mit den Spitzen berührten, ergaben eine Art Kreuz, das beim Betrachten seltsam irritierte: Mal erschien es als ein rotes Kreuz auf weißem, mal als ein weißes Kreuz auf rotem Grund. Auf der unteren Hälfte des Tisches war die Farbe so verblasst und verwittert, dass man sie gerade noch in den Tiefen der Maserung erkennen konnte. Doch oben an der Tafel war die Bemalung, zumindest zum Teil, noch erhalten. Das rote Feld am Kopfende schmückte die Figur eines thronenden Königs, deutlich zu erkennen an der Krone auf seinem Haupt und dem langen Schwert in seiner Hand. Zur Rechten und Linken des Kopfes stand etwas geschrieben. Siggi beugte sich vor, um die verschnörkelte Schrift entziffern zu können.
    »Kyng … Arthwyr«, las er laut. Links daneben war in dem weißen Feld ein weiterer Name zu lesen. »Syr Gwydion.« Bei dem folgenden war nur noch ein Teil zu entziffern: »…rdydd.« Siggi grinste. »Die haben’s mit den Ypsilons«, stellte er fest.
    »Brythonisch«, sagte Hagen. »Die alte Sprache des Landes. Oder zumindest was man damals dafür hielt.«
    Siggi warf noch einen kritischen Blick auf das bärtige Gesicht des gekrönten Mannes. Die Farben waren ausgebleicht, sodass die Untermalung durchschimmerte, aber die gerade Nase und die dichten, in der Mitte fast zusammengewachsenen Brauen waren unverkennbar. »Er hat Ähnlichkeit mit dir«, stellte er fest.
    »Das wundert mich nicht«, meinte Hagen trocken. »Ich vermute, es stellt meinen Urgroßonkel dar, Lord Arthur Fitzroy. Er wollte so eine Art Ritterorden ins Leben rufen, so wie er sich das vorstellte. Nach der alten Art, verstehst du. Die Adligen von Cornwall hatten immer schon was gegen die Engländer. Sie hielten sich für die Hüter des wirklichen Erbes von Britannien und glaubten, es gegen die englischen Barbaren verteidigen zu müssen.«
    Siggi erinnerte sich, wie Hagen ihm früher einmal erzählt hatte, dass einer seiner Vorfahren mit Wilhelm dem Eroberer nach England gekommen war, ein Normanne durch und durch, der nichts anderes sprach als Französisch. Im Laufe der Jahrhunderte dann schien die Familie hier stärker Wurzeln gefasst zu haben, als man es für möglich gehalten hätte.
    »Aber ich glaube, er war nur ein Fantast. Ein Fantasy-Rollenspieler der harten Sorte. Schau mal, wie er diese Kapelle genannt hat.«
    Er wies mit dem Finger auf das Zentrum der Scheibe. Siggi kniff die Augen zusammen, aber die Bemalung war so verwittert, dass er nichts erkennen konnte.
    »Caer Siddi«, las Hagen die unsichtbare Schrift. »Na, verstehst du?«
    Siggi verstand nichts.
    »Siddi. Sidhe, wie sie in Irland sagen. ›Das Haus der Shee.‹ Sie glaubten noch an Elfen damals. Sie haben sie sogar fotografiert. Aber es war alles nur Täuschung und Betrug. Alles nur Illusion.«
    »Aber …« Aber du weißt doch,
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