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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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zu keinem Außenstehenden darüber reden konnte. Und dann ein Urlaub in Irland, ebenso traumhaft wie gefährlich. Siggi hatte es fast schon verdrängt gehabt, aber es lag nur dicht unter der Oberfläche, und es war alles wieder da, wenn man es rief.
    Die Anderswelt. 1
    Er träumte von ihr. Er dachte an sie in seinen wachen Momenten. Er sehnte sich nach ihr und fürchtete sie zugleich.
    Siggis Hand ging unwillkürlich zu dem Amulett, das er an einer Lederschnur um den Hals trug. Ein Thorshammer. Ein heidnisches Schmuckstück, wie man es heutzutage in jedem gut sortierten New-Age-Laden kaufen konnte. Doch für ihn war es mehr als das. Er hatte einmal jenen Hammer in der Hand gehalten, war mit den alten Göttern durch eine verzauberte Welt gewandelt – und dies war alles, was davon übrig geblieben war.
    Irgendwo am anderen Ende des Saales wurden Stimmen laut. Der Lehrer, der zugleich ihr Betreuer, Freizeitleiter und Organisator war, sammelte seine Schützlinge. Auf allen Ausflügen war es seine wichtigste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass keiner zurückblieb. Siggi konnte nicht genau verstehen, was der Mann redete, aber er wusste, was auf dem Plan stand.
    »Wir sollen zum Essen gehen.«
    »Hast du Hunger?«, fragte Hagen.
    Siggi sah ihn an. Hagen schien auf etwas zu warten. »Nö«, meinte er, »eigentlich nicht.«
    »Dann komm, ich zeig dir, woran ich gerade arbeite!«
    Sie duckten sich unter den Vitrinen hinweg zu einer Seitennische, die Siggi bis jetzt noch gar nicht aufgefallen war. Darin war eine braune, unscheinbare Holztür; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass sich dahinter mehr verbergen könnte als eine Abstellkammer.
    Die Nische gab ihnen Deckung, als Hagen einen großen eisernen Schlüssel aus seiner Hosentasche fischte und die Tür aufsperrte.
    Dahinter war ein enger Gang mit einem Tonnengewölbe, erhellt nur durch ein paar schmale Fensterschlitze. Das Glas darin war halb blind. Ein über Putz verlegtes Kabel führte zu einer Glühbirne, die nackt an der Decke baumelte. Siggi suchte instinktiv nach einem Lichtschalter, aber Hagen winkte ihn weiter. »Komm!«
    »Hat dir Gunni denn nicht geschrieben, dass wir nach England kommen?«, fragte Siggi, nur um etwas zu sagen.
    »Gunhild? Sie ist auch hier?«
    »Sie kommt mit unseren Eltern nach. Nach England. Sie wollen mich hier besuchen. Vielleicht können wir uns dann treffen, alle zusammen. Das wäre doch schön.« Gunhild war Siggis Schwester, und Siggi wusste, dass es zwischen Hagen und ihr mehr als nur eine flüchtige Begegnung gegeben hatte. Darum wunderte er sich umso mehr über Hagens Erstaunen.
    Hagen sagte nichts. Am Ende des Ganges war eine weitere Tür. Diese war nicht verschlossen, und als Hagen sie aufstieß, flutete Licht herein.
    Siggi kriegte vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
    Vor ihnen lag eine Art Kapelle. Sie war vielleicht fünf Meter breit, doppelt so lang und zum Himmel hin offen. Abgebrochene, zerfallene Mauern ragten rechts und links empor. An den Seiten zogen sich steinerne Bänke entlang, auf denen große, grob behauene Blocksteine gestapelt waren. Die Mitte des Saales nahm ein Tisch von runder Form ein. Er war mit einer grünen Plastikplane überzogen, unter der andere Farben hervorschimmerten: Felder in Rot und Weiß, soviel man auf den ersten Blick ausmachen konnte.
    Doch was den Raum beherrschte, war eine Art Altar am Kopfende. Es war eher ein Schrein, sicherlich drei Meter hoch, eingefasst von Säulen und Türmchen. Ein Netz war darüber gespannt, um das Mauerwerk zu schützen, und zum Teil war auch er mit Plastik abgedeckt. Doch man konnte erkennen, was das Mosaikbild, das den größten Teil seiner Vorderfront bildete, darstellte:
    Es war ein Mann, in eine fantastische Rüstung gekleidet, die nur Kopf und Hände freiließ. Er kniete, die Hände zum Gebet gefaltet. Vor ihm schwebte, in goldschimmernden Glassteinen ausgeführt, eine Art Kelch, der von einem Engel gehalten wurde. Strahlen gingen davon aus, die das ganze Bild erfüllten. Sie erleuchteten die Züge des Ritters, der mit einem Ausdruck der Verzückung auf die Erscheinung starrte, als sähe er den Himmel offen.
    »Der Heilige Gral«, sagte Hagen. »Und die Tafelrunde – schon mal was von König Arthur gehört?«
    Natürlich hatte Siggi davon gehört. Genauer gesagt: davon gelesen. Es war ein Buch gewesen, das ihm sein Großvater zur Kommunion geschenkt hatte – wie lange war das jetzt her? Sechs, sieben Jahre? Er hatte das Gefühl, als sei er damals ein ganz
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