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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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Hügel des Vaucluso oder Vaucluse , wie die Franzosen sagten, und, jenseits ihrer bewaldeten Kuppen, fern und durchscheinend, der gigantische Schatten des Mount Ventour.
    Fabiou der Poet saß rittlings auf dem Giebel der äußersten Dachgaube des Hauses Castelblanc und kaute am Ende eines angespitzten Federkiels. Er hatte das Tintenfass vor sich zwischen zwei Dachschindeln geklemmt, ein aus der Küche entwendetes Hackbrett auf seine Knie gelegt, und darauf lag, jungfräulich wie die 24
    heilige Einfalt, ein sauberes Stück Pergament, das er mit Zeige-und Mittelfinger der linken Hand gegen den Morgenwind sicherte. Seit gut und gerne zwei Stunden saß er nun hier, hatte die Finsternis der Nacht in das fahle Licht der Dämmerung übergehen sehen, hatte das Aufkeimen der Morgenröte am östlichen Horizont beobachtet, immer in Erwartung einer Muse, die vom Himmel herabstieg wie der Heilige Geist, um seine Feder zu einer Sonette zu beflügeln, die Ronsard vor Neid erblassen ließ. Doch offensichtlich wirkte Castelblanc auf Musen ebenso wenig einladend wie auf normale Sterbliche. Das Pergament war jedenfalls noch so unberührt, wie er es heimlich aus Frederis Sekretär genommen hatte. Castelblanc.
    Verfluchtes, ödes Castelblanc.
    Die Herren von Castelblanc waren vor mehreren hundert Jahren aus dem Piemont eingewandert und waren zu dieser Zeit den Quellen zufolge noch ziemlich bürgerlich gewesen. Bis ein gewisser Charloun Marigotz König Philipp II. von Frankreich auf den 3. Kreuzzug folgte, wo er ihn der Legende nach vor den Mauern von Jerusalem vor einer Horde mordlustiger Mauren rettete, die sein Pferd erschlagen hatten und im Begriff waren, ihm denselben Dienst zu erweisen. Charloun, der ein junger Heißsporn mit viel Mut und wenig Verstand war, stürzte sich mit Gebrüll in den Kampf gegen die rasende Übermacht. Philipp II. gelang unversehrt die Flucht, Charloun verlor ein Bein und vier Finger der linken Hand und wurde zum Dank für seine aufopferungsvolle Tat zum Cavalié dou Castelblanc ernannt und mit einem kleinen Gebiet im Luberoun in der Nachbarschaft der Barounie Oppède belehnt, fünfzehn Morgen, zehn abhängige Höfe und ein lächerliches Jagdgebiet, in dem man nach spätestens fünfminütigem Ritt entweder auf den Besitzungen des Barouns von Oppède oder auf denen des Senher de la Costo landete. Den Namen Castelblanc hatte sich der junge Held selbst ausgesucht und ging nun daran, mit freundlicher Unterstützung seiner leibeigenen Bauern, die er mit Kerker und Tod bedrohte, sein Lebenswerk, die Burg zum Namen, zu errichten. Seine Nachkommen, die Cavaliés dou Castelblanc – oder de Castelblanc, wie sie sich nach einigen Jahrzehnten nannten – mussten die Erfahrung machen, dass man Noblesse nicht essen kann. Der 25
    Besitz warf nur magere Erträge ab, und sie mussten ihre Bauern dazu zwingen, ihre Töchter und Söhne unentgeltlich als Dienstboten auf die Burg zu schicken, da sie sonst selbst hätten das Essen bereiten, die Wäsche waschen und den Stall ausmisten müssen. Erst zu Beginn des aktuellen Jahrhunderts kam ein Castelblanc auf die Idee, eine reiche Bürgerstochter zu adeln, indem er sie zur Frau nahm, und bei der Gelegenheit eine gesegnete Mitgift einzustreichen. Dieses Verfahren, das sich derzeit allgemein wachsender Beliebtheit erfreute, verschaffte den Castelblancs bescheidenen Wohlstand, genug, um sich ein paar richtige Diener, ein paar Pferde, die etwas hermachten, und eine vernünftige Kutsche leisten zu können. Auch Renovierungspläne wurden gewälzt und zum Teil in die Tat umgesetzt, aber auch ein paar Erkerchen und Türmchen machen aus einer klobigen alten Trutzburg kein Schlösschen im italienischen Stil, und auch Frederis verzweifelter Versuch, auf der zugigen Höhe vor dem Haus einen Ziergarten anzulegen, erregte bei den seltenen Gästen von den umliegenden Domänen eher Mitleid als Bewunderung. Das also war Castelblanc. Zu ebener Erde eine Eingangshalle, in der Frederi der Ältere, Vater des jetzigen Frederis, eine Zwischenwand hatte einziehen lassen, um ein Speisezimmer davon abzuzweigen. Dahinter die Küche, von der aus man in die Vorratskeller unter dem Gebäude gelangen konnte. Im ersten Stock der Empfangssalon und der Festsaal, dessen Größe nur zu so langsamen Tänzen wie der Pavane taugte, da man bei einer Gaillarde unweigerlich gegen die Wand rempelte. Im Obergeschoss schließlich ein paar Zimmer von der Größe von Mönchszellen, die die Familie und die Dienstboten
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