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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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legen, wenn sie eine auch nur halbwegs ordentliche Partie machen wollte. Und während Cristino sich zumindest große Mühe gab, die Verhaltensmaßregeln ihrer Mutter in dieser Hinsicht zu beherzigen, war Catarinos Benehmen weit von dem entfernt, was einer jungen Dame aus gutem Hause anstand. Catarino war unter Mädchen aufgewachsen, die besser reiten und schießen als tanzen und Konservation treiben konnten, die mit ihren Brüdern rauften und mit den Dienstboten ei30
    nen vertrauten Umgangston pflegten, die bei Tisch schmatzten wie die Bauernlümmel und die Hände statt sittsam an Servietten am Tischtuch oder an ihren Röcken abwischten, und wenn die Dame Castelblanc auch seit zwei Jahren ihrer Tochter Tag und Nacht die höfischen Umgangsformen eintrichterte, so hielt sich der Erfolg doch in Grenzen. Catarinos Französisch war mäßig, ihre Ausdrucksweise oft genug bäuerlich, und, was das schlimmste war, sie war in einem Maße vorlaut, das jeden potentiellen Verehrer sofort mit Grausen erfüllen musste. Nichts von der Zurückhaltung, nichts von der stillen Bescheidenheit, die eine Dame an den Tag zu legen hat, die nur redet, wenn sie gefragt ist, in Gegenwart von Herren bescheiden die Augen niederschlägt und niemals, wirklich niemals widerspricht. Catarino war der Albtraum jeder Mutter, die auf eine gute Partie aus war, und sowohl der Cavalié als auch die Dame Castelblanc sahen nur noch jenen einen Ausweg, um zu verhindern, dass ihre älteste Tochter an der Seite eines verkommenen Raubritters endete: sie der schädlichen Umgebung zu entziehen und in die Gesellschaft einzuführen, in der Hoffnung, dass das Beispiel der anderen jungen Damen sich positiv auf ihr Benehmen auswirken würde.
    Aus der Sicht der Kinder war Ais dagegen in erster Linie eine Gelegenheit, Abwechslung vom öden Landleben zu erhalten und für Fabiou zugleich die Chance zur Horizonterweiterung. Mit Ais konnten sich viele neue Möglichkeiten auftun. Es war durchaus denkbar, dass der Besuch in der Stadt die eine oder andere Inspiration mit sich bringen würde. Möglicherweise würde sich die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch mit anderen Poeten bieten. Möglicherweise würde er dort auf einen Gönner und Förderer treffen, was er bitter nötig hätte, denn Frederi verstand so viel von Poesie wie eine Kuh vom Flötespielen. Möglicherweise würde er eine junge Schöne kennenlernen, die ihm zur Muse gereichte. Möglicherweise…
    Er hätte die Schreibfeder besser vernünftig in der Hand gehalten. Man spielt nicht mit Schreibwerkzeug, das hatte ihm Bruder Antonius eingeschärft, sein früherer Hauslehrer, für den Lesen und Schreiben das achte und neunte Sakrament waren. Zumal die Feder bereits mehrfach in das Tintenfass eingetaucht und entspre31
    chend glitschig war. Eine unvorsichtige Bewegung, die Feder glitt aus seinen Fingern und fiel, er warf sich nach vorn in dem Versuch, sie zu fassen, und stieß dabei das Tintenfass um, das über die Dachkante kippte und in die Tiefe stürzte.
    «Fabiouuuuu!»
    Fabiou hatte die Hände vors Gesicht gepresst, ungeachtet der Tintenflecken auf seinen Fingerspitzen. «Scheiße!», stöhnte er wenig poetisch, während tief unter ihm das Tintenfass auf die Steinplatten des Hofes klirrte.
    «Fabiou, komm sofort da runter!»
    Er seufzte tief, steckte das Pergament und das Hackbrett in einen Beutel, warf ihn sich über die Schulter und ließ sich die Dachgaube hinunterrutschen. Ein Haken oberhalb des geöffnete Fensters diente ihm als Halt, und er schwang sich nach drinnen. «Guten Morgen, Mama…»
    «Fabiou!» Madaleno de Castelblanc schlang die Arme um ihren Sohn und jammerte: «Wie kannst du nur immer auf dieses Dach klettern! Mir bleibt jedes Mal das Herz stehen, wenn ich es sehe!
    Mein Gott, du könntest fallen, du könntest… oh mein Gott!»
    Von fern war der Glockenschlag vom Kirchturm in Oppède zu hören. Sieben Uhr.
    «Heilige Jungfrau Maria! Schnell, lauf, zum Essen! Oh, Jesus, wir werden es nie schaffen!»
    ***
    In der Eingangshalle herrschte schon geschäftiges Kommen und Gehen, als die Mädchen dort eintrafen. Die Dienerschaft war damit beschäftigt, das Gepäck auf die Wagen zu laden. Der Koch und die Küchenmägde schleppten den Reiseproviant herbei, Brot, Pasteten und Rauchschinken, der Pferdeknecht spannte die Tiere vor die Kutsche und vor die beiden offenen Holzkarren, die Kammerdiener luden Truhen mit Kleidern auf die Ladeflächen, der wertvollste Besitz, schließlich gedachte die Dame in dieser
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