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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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Armen zeigte.
    «Nein, wie kommst du denn darauf? – Ach so, das Medaillon!
    Oh, es ist ein Geschenk meiner Mutter. Und es beschützt mich vor allem Übel, weißt du. Und wie es mich beschützt!»
    «Scheinst sie ja zu vermissen, die Mutter», sagte der Fuhrmann mit einem spöttischen Grinsen.
    «Sie ist tot. Schon lange», sagte der Junge.
    «Oh. Tut mir leid. Ähm… also, was willst du studieren, wenn nicht Theologie? Rechte?»
    «Medizin», sagte der Bursche fröhlich.
    «Medizin! Herr Jesus!»
    «Hast du was dagegen?», fragte der Junge und lachte.
    «Dagegen, was! Stelle ich mir ekelhaft vor, die Leichenschnippelei und so. Graust dich das nicht?»
    «Nun, es ist ja für einen guten Zweck», meinte der Junge. «Wie soll man denn sonst lernen, wie der Körper des Menschen funktioniert und wie man Krankheiten heilen kann!»
    «Na. Ich hoffe du wirst ein ordentlicher Arzt, nicht einer von den Quacksalbern, wie sie überall herumspringen.»
    «Werd‘ mir Mühe geben», entgegnete der Bursche.
    «Die Universität wird dir gefallen», sagte der Fuhrmann. «Ist ‘ne halbe Stadt für sich, jenseits der Seine. Und alles voller junger Burschen wie du. Die meisten sind mehr mit ihrem Vergnügen als mit Studieren beschäftigt, das kann ich dir sagen! Na, warum nicht. Man ist ja nur einmal jung. – Hast du Verwandtschaft in Paris?»
    «Nein», sagte der Bursche. «Einen guten Freund habe ich, der dort Jurisprudenz studiert, so glaube ich wenigstens. Aber ich weiß
    nicht genau, wo er wohnt. Na ja, ich werde ihn schon finden.»
    «Du bist aus dem Süden, hä?», fragte der Fuhrmann mit einem neuerlichen bewundernden Blick auf das sonnenverbrannte Gesicht des Knaben. «Lyon?»
    1088
    «Provence», verbesserte der Junge lächelnd.
    «Wirklich? Du hast gar keinen Akzent», stellte der Fuhrmann erstaunt fest.
    «Meine Mutter war Französin», sagte der Bursche. «In meinen ersten vier Lebensjahren habe ich ebenso viel Französisch wie Provenzalisch gesprochen. Dann ist sie leider gestorben, und mein Vater auch.»
    «Oh je, Waise, das ist traurig. Hast du denn gar keine Verwandten mehr?»
    «Doch, doch. Einen Vetter, den ich sehr mag. Und eine große Schwester. Sie hat sich immer um mich gekümmert. Sie hat sich sehr um mich gekümmert.» Der Junge beugte sich nach vorne und wies auf einen Kirchturm, der durch den Dunst zu ihnen durchschimmerte. «Was ist das für eine Kirche?»
    «St. Germain», sagte der Fuhrmann. «Der Vorposten von Paris. Wir haben es bald geschafft, Kleiner.»
    «Erfreulich», sagte der Junge lachend und wischte sich erneut das Wasser aus dem Gesicht.
    «Übrigens, ich heiße Luc», sagte der Fuhrmann. «Luc Cradonnier. Und wie ist dein Name?»
    Ein seltsames Lächeln lag auf dem Gesicht des Jungen. «Degrelho», antwortete er, und seine gebräunten Finger spielten mit dem Medaillon, das um seinen Hals hing. «Mein Name ist Daniel Degrelho.»
    Von St. Germain kündeten die Glocken den Abend an, und im strömenden Regen, der aus dem wolkenverhangenen Himmel fiel, erreichten sie die Mauern von Paris.
    1089

    Nachwort
    Die Handlung dieser Geschichte ist frei erfunden. Dennoch geht sie auf historische Tatsachen zurück. Während die Hauptpersonen, insbesondere die Bruderschaft und die Antonius-Jünger, größtenteils fiktiv sind, haben andere Figuren dieser Geschichte wirklich gelebt – so zum Beispiel Jean Maynier und seine Familie, und natürlich Jeanne d’Albret und ihr Sohn. Auch ein Großteil der historischen Anekdoten in dieser Geschichte haben sich wirklich so ereignet. Das gilt insbesondere für die Details über den Arrêt de Mérindol und den süddeutschen Bauernkrieg, die leider Gottes auf Tatsachenberichten beruhen.
    Die Geschichte spielt in der Provence des Jahres 1558, also in der ersten Phase der so genannten «Neuzeit». Dies war in ganz Europa eine Zeit extremer gesellschaftlicher, technischer und ideeller Umbrüche. Die Welt des Mittelalters war von Frömmigkeit und Mystik, starren Gesellschaftsstrukturen und einer vollkommenen Ausrichtung aller Lebensbereiche auf Gott und das Jenseits geprägt gewesen. Seit dem 14. Jahrhundert kam nun nach und nach eine neue Geisteshaltung auf, die sich im 15. und 16. Jahrhundert zunehmend in allen Lebensbereichen durchsetzte und völlig mit dem mittelalterlichen Denken brach, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt stellte: der Humanismus. Da sich der Humanismus in vielerlei Hinsicht an der Philosophie der griechischen und römischen Antike
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