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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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purpurnen Pracht des Abendhimmels haften.
    «Weißt du, Frederi ist nicht das Problem», sagte Fabiou. «Seinen Segen hast du. Das Problem ist Mutter. Sie wird niemals damit einverstanden sein, schon wegen des Skandals, den es provozieren wird. Sie wird dir den Cavalié de Siest, Alexandre de Mergoult und am liebsten noch das königliche Heer auf den Hals hetzen. Das bedeutet, wenn du es schaffen willst, musst du es heimlich tun. Aber das weißt du ja sowieso.»
    Cristino sah ihn entgeistert an. «Was… was meinst du damit?», fragte sie.
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    Fabiou grinste breit. «Ach ja, und wenn du ihn siehst, dann grüß
    ihn von mir», sagte er.
    «Wen? Wovon redest du bitte?»
    Ein versonnenes Lächeln umspielte die Lippen ihres Stiefbruders. «Alles Gute, Agnes Degrelho», sagte Fabiou Kermanach de Bèufort, als er sich umwandte und ins Haus zurückschlenderte.
    ***
    Als die Stille der Nacht über Castelblanc hereingebrochen war und jede Seele im Haus in tiefem Schlaf lag, stand Cristino auf. Sie hatte den ganzen Tag im Bett verbracht unter dem Vorwand, dass ihr nicht wohl sei, und jetzt fühlte sie sich frisch und erholt und erfüllt von jener Anspannung, die einen zu jeder Anstrengung befähigt. Leise, um niemanden zu wecken, schlüpfte sie aus ihrem Bett und schlich auf Zehenspitzen durch den Raum, hinüber zu der Bettstatt, in der Catarino so viele Jahre lang ihr gegenüber geschlafen hatte. Das Bett war immer noch gemacht, als ob Catarino jeden Augenblick zurückkommen würde.
    Alle Vorbereitungen waren getroffen. Als sie sich auf die Knie sinken ließ, tasteten ihre Hände unter dem Bett zwei Bündel, die sie leise hervorzog. Das erste war verschnürt und enthielt alle Dinge, die sie für ihr Vorhaben benötigte: ein frisches Hemd und eine frische Hose, einen Laib Brot, die Börse mit dem Geld, das Victor ihr besorgt hatte, und das einzige Buch, das mitzunehmen sie sich durchgerungen hatte, den Vesalius. Das zweite bestand aus einem Satz Kleider, die Victor ihr besorgt hatte und die von Stil und Qualität her etwa einem Handwerksburschen angestanden hätten: eine Hose und ein Hemd aus einfachem Leinen, ein Wams aus demselben Material, ein warmer, aber einfacher Reisemantel und eine graue Mütze, dazu ein Gürtel, an dem ein Dolch und eine Feldflasche befestigt waren. Letztere war bereits gefüllt. Sie schlüpfte aus ihrem Nachthemd und legte die fremden Kleider an. Es war etwas ungewohnt, obwohl Victor ihr genau erklärt hatte, wie und wo der Gürtel zu schließen und das Wams zu knüpfen war. Es verunsicherte sie nicht sonderlich. Sie würde mit größeren technischen Problemen als dem Ankleiden zu kämpfen 1084
    haben. Das größte würde vermutlich sein, die Abtritte aufzusuchen. Aber Louise hatte ihr ein paar Kniffe verraten, sie fühlte sich der Situation durchaus gewachsen.
    Als sie sich umgezogen hatte, nahm sie Platz vor der Frisierkommode. Einen Moment lang saß sie vor dem Spiegel und betrachtete lächelnd das Mädchengesicht, das ihr im Halbdunkel einer mondklaren Nacht daraus entgegensah, die hellen Augen, die kleine Narbe auf der Stirn und der Kranz blonder Locken, der ihr Gesicht umrahmte.
    Sie hatte ein kleines Messer bereitgelegt. Mit zusammengebissenen Zähnen machte sie einen winzigen Schnitt in jedes der kleinen Löcher in ihren Ohrläppchen, in denen bisher immer die Ohrringe gesessen hatten, gerade genug, dass es blutete. Die Kruste würde die Ohrlöcher verbergen, und danach würden sie wahrscheinlich verkleben und zuwachsen, so dass sie diese Prozedur hoffentlich nicht zu wiederholen brauchte.
    Sie zog die oberste Schublade der Kommode auf, in der die Briefe lagen, die sie geschrieben hatte, einen an Fabiou, einen an Frederi Jùli und Maria Anno, einen an den Cavalié und Madaleno, und die Schere, die sie dort bereitgelegt hatte. Ein letztes Mal betrachtete sie das Gesicht von Cristino de Bèufort im Spiegel, bevor sie begann, sich die Haare abzuschneiden. Sie schnitt sie kurz, kürzer als viele Männer sie trugen. Sie musste so wenig weiblich wie möglich aussehen. Als sie diese Aufgabe vollendet hatte und sich im Spiegel betrachtete, sah ihr ein fremdes Gesicht entgegen, das Gesicht eines hübschen, blonden Knaben in der Tracht eines Handwerksburschen. Sie fegte die Haare in die Schublade, wo sie die Briefe umrahmten wie eine goldene Girlande, und legte die Schere dazu. Dann drückte sie sich die Mütze auf den Kopf, schulterte ihr Bündel und schlüpfte zur Tür hinaus. Es war kühl
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