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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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orientierte, nannte man diese Epoche auch «Renaissance» (Wiedergeburt). Die neue Lehre hatte extreme Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Die Wissenschaften, die bisher vor allem den Zweck gehabt hatten, die Herrlichkeit Gottes in der Welt zu beweisen, verfolgten jetzt zunehmend das Ziel, hinter die Geheimnisse der Natur zu kommen und sie für den Menschen nutzbar zu machen. Dies hatte 1091
    zur Folge, dass in kürzester Zeit bedeutende technologische Fortschritte erzielt wurden, so in der Navigations-und Waffentechnik, in der Kommunikation (Druckmaschinen) und in der Feinmechanik (z. B. Uhrwerke). Man verwendete viel Geld und Energie auf die Erforschung der Welt (z. B. die Entdeckung von Amerika 1492) und die Erschließung neuer Wirtschaftsressourcen. Daneben wurden wichtige theoretische Erkenntnisse gewonnen, so zum Beispiel die Tatsache, dass die Erde rund ist und sich um die Sonne dreht. Im Mittelalter war die wichtigste Literatursprache die Sprache der Kirche, nämlich Latein. In der frühen Neuzeit rückte die Volkszugehörigkeit der Menschen und der Patriotismus mehr in den Mittelpunkt des Interesses, und die Schriftsteller in ganz Europa versuchten nun, in ihrer jeweiligen Landessprache zu schreiben. Auch in Politik, Verwaltung und Wirtschaft hatte der Schriftverkehr bisher weitgehend auf Latein stattgefunden und gewann die jeweilige Landessprache erst jetzt zunehmend an Bedeutung. Am bedeutendsten aber waren die politischen und sozialen Veränderungen, die sich aus der neuen Philosophie ergaben. Im Mittelalter hatten klare Machtverhältnisse geherrscht. Der Herrschaftsanspruch von König, Papst und Adel war meist ebenso als von Gott gegeben hingenommen worden wie soziale Ungerechtigkeiten. Mit den Ideen des Humanismus regte sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts zunehmend Kritik an den herrschenden politischen, religiösen und sozialen Verhältnissen. In ganz Europa forderten Theologen, so genannte «Reformatoren», eine radikale Reform der Kirche mit Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte des Christentums, Philosophen plädierten für eine freiheitlichere Gesellschaftsordnung. Diese Ideen wurden von weiten Bevölkerungsschichten begeistert aufgenommen, in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts entstanden in ganz Europa Reformbewegungen, an vielen Orten kam es zu bewaffneten Aufständen unterdrückter Bauern. Eine eigene Glaubensrichtung entstand, die den Papst nicht mehr als religiöses Oberhaupt akzeptierte – der Protestantismus. In Deutschland kam es in der Folge zu mehreren Kriegen zwischen protestantischen Fürsten und dem Kaiser, die erst mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 endeten, in dem den Protestanten unter bestimmten Voraussetzungen eine freie Ausübung ih1092
    rer Religion zugestanden wurde. In anderen Ländern wurde kein solcher Kompromiss gefunden, in Frankreich führte der Konflikt zwischen den Religionen zu religiöser Verfolgung der Protestanten durch die Inquisition und ab 1562 zu einem Bürgerkrieg, der bis ins 18. Jahrhundert hinweg immer wieder aufflammte. Auch in anderen europäischen Ländern – Spanien, den Niederlanden, Irland, England – kam es zu Bürgerkriegen und religiöser Verfolgung. Es ging bei all diesen Konflikten aber stets nicht nur um religiöse Fragen, sondern immer auch um Machtinteressen und politische Einflussnahme.
    Die Situation in der Provence wies einige Besonderheiten auf. Im Mittelalter war der Süden Frankreichs, das so genannte Okzitanien, ein politisch und kulturell eigenständiger Raum mit einer eigenen Sprache, dem Okzitanischen, von dem es unterschiedliche regionale Ausprägungen gab, zu denen auch das Provenzalische gehörte. Okzitanien war damals eines der wichtigsten kulturellen Zentren Europas, die provenzalische Literatur war Vorbild für die gesamte europäische Dichtkunst, und Provenzalisch war neben Latein die Literatursprache. Die Provence war eine Grafschaft, die zwar formell dem Kaiser unterstand, aber weitestgehend unabhängig war und insbesondere in keiner Weise dem Herrschaftsbereich des (nord-)französischen Königs zugehörte.
    Die französischen Könige fristeten bis ins 12. Jahrhundert ein Schattendasein neben dem hochentwickelten Süden. Die entscheidende Veränderung ergab sich, als der Papst zu Beginn des 13. Jahrhunderts zum «Kreuzzug» gegen die Religionsgemeinschaft der Katharer aufrief, die in Okzitanien viele Anhänger hatte. Der französische König nahm dieses «Mandat» an und führte einen Vernichtungsfeldzug
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