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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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Maynier das Einverständnis des französischen Königs – damals noch François I. – durch zahlreiche Intrigen und eine komplett falsche Darstellung des «Waldenserproblems» erschlichen. Er geht sogar so weit, Maynier eine glatte Urkundenfälschung vorzuwerfen: Maynier habe dem Conseil privé
    des Königs ein völlig anderes Dokument zur Absegnung vorgelegt; dem Ermächtigungsschreiben des Königs sei der Arrêt de Mérindol erst im Nachhinein angefügt worden. Aubéry belegt dies damit, dass sich keiner der beteiligten königlichen Beamten mehr an den Arrêt erinnern wollte und dass das Siegelwachs, mit dem der Arrêt de Mérindol dem königlichen Ermächtigungsschreiben angeheftet worden war, in der königlichen Verwaltung nicht gebräuchlich sei. 1097
    Man muss Maynier und seinen Verbündeten zu Gute halten, dass zumindest dieser Vorwurf ein Versuch gewesen sein kann, König François von seiner Mitverantwortung für den Arrêt de Mérindol reinzuwaschen. König Henri II. stand vor dem Dilemma, einen Prozess aufgrund eines Ereignisses führen zu müssen, das sein Vorgänger abgesegnet hatte, und Aubéry hatte sicher auch den Auftrag, seinen Dienstherrn, die französische Krone, vor einem Gesichtsverlust im Zusammenhang mit diesem Prozess zu bewahren.
    Die Cental verlor den Prozess. Das lag zum einen an der damaligen Rechtslage: Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, die von der (katholischen) Kirche abgelehnt wurde, galt als Ketzerei, und auf Ketzerei stand die Todesstrafe. Allein wegen der Tatsache, dass er Tausende Waldenser ermorden ließ, konnte man Maynier also juristisch nicht belangen, auch wenn das im Empfinden seiner Zeitgenossen durchaus ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war. Rein rechtlich hatte Maynier sich nur in zwei Punkten strafbar gemacht: 1. er hatte die «Ketzer» ohne rechtmäßigen Prozess ermorden lassen, 2. er hatte Dorfbewohner töten lassen, ohne zu überprüfen, ob sie auch wirklich Waldenser waren, so dass auch Unschuldige zu Tode kamen – Katholiken, die zufällig im selben Dorf gewohnt hatten, sowie minderjährige Kinder von Waldensern. Aber auch diese Vergehen hätten durchaus für eine Verurteilung Mayniers gereicht. Dass er dennoch vollkommen rehabilitiert aus dem Prozess hervorging, mag zum einen an der «ketzerfeindlichen» Stimmung der Richter gelegen haben, zum anderen sicher auch an Mayniers Beziehungen – sogar die amtierenden Päpste, Paul III. und Julius III., setzten sich persönlich für einen Freispruch ein.Wenndie«Bruderschaft»aucheineErfindungist,soberuhendie Ereignisse doch insoweit auf Tatsachen, als es Widerstände gegen den Arrêt de Mérindol gegeben haben muss, und zwar allem Anschein nach durchaus auch aus den Reihen des Adels. Schon Aubéry vermutete, dass die überstürzte Parlamentssitzung am Sonntagabend damit zu tun hatten, dass es Kräfte gab, die versuchten, den Arrêt de Mérindol zu verhindern. Mehrfach ist in Aubérys Bericht zudem die Rede davon, dass die Menschen von Mérindol vor ge1098
    planten Aktionen des Parlaments gewarnt worden seien. Auch von dem Arrêt de Mérindol selbst wurden die Einwohner von Mérindol so frühzeitig in Kenntnis gesetzt, dass sie sich in Sicherheit bringen konnten. Offensichtlich gab es also Leute im Parlament oder dessen Umfeld, die der harten Linie eines Jean Maynier ablehnend gegenüberstanden und versuchten, den Menschen von Mérindol zu helfen, sei es aus reiner Menschenliebe oder weil sie selbst der waldensischen Lehre nahestanden. Es ist auch zu erwarten, dass diese Personen die Menschen von Mérindol im Geheimen unterstützten, da sie sich sonst selbst dem Vorwurf der Ketzerfreundlichkeit ausgesetzt hätten. Aubéry lässt an keiner Stelle auch nur ansatzweise durchblicken, wer diese Leute waren. Möglicherweise wusste er es einfach nicht. Andererseits passt es nicht ganz zu Aubérys Detailtreue, dass er nicht einmal Vermutungen zu diesem Thema anstellte. Es ist gut möglich, dass Aubéry die heimlichen Beschützer von Mérindol kannte und dass er seine Gründe hatte, dieses Geheimnis für sich zu behalten.
    Jean Maynier d’Oppède konnte sich nicht lange über den erfolgreichen Ausgang des Prozesses freuen: er starb 1558, nur drei Jahre nach Ende des Prozesses. Seine Rolle bei der Vernichtung der Waldenser gab bereits unter seinen Zeitgenossen zu wilden Spekulationen über die Umstände seines Todes Anlass. Zwar litt Maynier an einer Harnwegserkrankung (eventuell auch einer
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