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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant
Autoren: Jules Verne
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vergessend, auf einem Steinblock sitzend, mitten im Schweigen der Natur unter des Mondes bleichen Strahlen – in Entzücken und die reine Begeisterung versenkt, welche nur liebende Herzen kennen.
     

    So verliefen ihnen die ersten Wonnemonate der Ehe. Aber Lord Glenarvan gedachte, daß seine Frau die Tochter eines großen Reisenden war; er meinte, Lady Helena müsse alle hohen Strebungen ihres Vaters im Herzen haben, und er irrte nicht. Er ließ den Duncan bauen zu dem Zweck, Lord und Lady Glenarvan in die schönsten Länder der Welt zu tragen, am Mittelländischen Meer und auf den Inseln des Archipels. Welche Freude für Lady Helena, als ihr Gemahl den Duncan ihr zur Verfügung stellte.
    Inzwischen war Lord Glenarvan nach London gereist. Da es sich um die Rettung unglücklicher Schiffbrüchiger handelte, so empfand Lady Helena über diese kurze Trennung mehr Ungeduld als Betrübniß; am folgenden Morgen ließ eine Depesche ihres Mannes seine baldige Rückkehr hoffen; am Abend begehrte ein Brief längeren Urlaub; die Vorschläge Lord Glenarvan’s waren auf Schwierigkeiten gestoßen; am dritten Tage machte ein Brief Lord Glenarvan’s kein Hehl mehr aus seiner Unzufriedenheit mit der Admiralität.
     

    Von jetzt an ward Lady Helena unruhig. Am Abend befand sie sich allein in ihrem Zimmer, als Herr Halbert, ihr Schloßvogt, anfragte, ob sie ein Mädchen und einen Knaben, welche Lord Glenarvan zu sprechen wünschten, empfangen wollte.
    »Landeskinder? fragte Lady Helena.
    – Nein, gnädige Frau, antwortete der Schloßvogt, denn ich kenne sie nicht. Sie sind mit der Eisenbahn nach Valloch gefahren, und von da nach Luß zu Fuß gegangen.
    – Sie mögen herauskommen«, sagte die Lady.
    Nach einer kleinen Weile wurden das Mädchen und der Knabe in das Zimmer der Lady Helena geführt. Es waren Geschwister, wie ihre Gesichtszüge zu erkennen gaben. Die Schwester war sechzehn Jahre alt; ihr hübsches Gesicht etwas abgespannt vor Ermüdung; ihre vom Weinen angegriffenen Augen, ihre Gesichtszüge voll Entsagung, aber nicht ohne Muth, ihr ärmlicher, aber reinlicher Anzug sprachen zu ihren Gunsten. Sie führte an der Hand einen zwölfjährigen Knaben mit entschlossener Miene, der seine Schwester in Schutz zu nehmen schien. Wahrlich, wer diesem Mädchen etwas hätte zu Leide thun wollen, hätte es mit diesem kleinen Mann zu thun gehabt.
    Die Schwester war in Gegenwart der Lady Helena ein wenig befangen. Diese ergriff schnell das Wort.
    »Sie wünschen mich zu sprechen? sagte sie mit aufmunterndem Blick.
    – Nein, erwiderte der Knabe mit entschiedenem Ton, nicht Sie, sondern Lord Glenarvan selbst.
    – Entschuldigen Sie, gnädige Frau, sagte das Mädchen, und sah ihren Bruder an.
    – Lord Glenarvan befindet sich nicht auf dem Schlosse, versetzte Lady Helena; aber ich bin seine Frau, und wenn ich bei Ihnen seine Stelle vertreten kann …
    – Sie sind Lady Glenarvan? sagte das Mädchen.
    – Ja, Miß.
    – Die Gemahlin des Lord Glenarvan zu Malcolm-Castle, welcher eine Anzeige in Betreff des Schiffbruchs der Britannia in der ›Times‹ veröffentlicht hat?
    – Ja! ja! erwiderte Helena hastig, und Sie? …
    – Ich bin Miß Grant, gnädige Frau, und dies ist mein Bruder.
    – Miß Grant! Miß Grant! rief Lady Helena aus, und zog das Mädchen zu sich, ergriff ihre Hände, und küßte den kleinen Mann auf seine freundlichen Wangen.
    – Gnädige Frau, fuhr das Mädchen fort, was wissen Sie über den Schiffbruch meines Vaters? Ist er noch bei Leben? Werden wir ihn jemals wieder sehen? Reden Sie, ich bitte!
    – Mein liebes Kind, sagte Lady Helena, Gott behüte mich, in einem solchen Falle leichthin zu reden; ich möchte Ihnen nicht ungegründete Hoffnung machen …
    – Reden Sie, gnädige Frau, reden Sie! Ich bin stark gegen den Schmerz, und kann Alles hören.
    – Mein liebes Kind! erwiderte Lady Helena, es ist nur eine schwache Hoffnung vorhanden; aber mit Gottes allmächtigem Beistand ist’s möglich, daß Sie einmal Ihren Vater wieder sehen.
    – Mein Gott! Mein Gott!« rief Miß Grant mit Thränen in den Augen, indeß Robert die Hände der Lady Glenarvan mit Küssen bedeckte.
    Nach diesem ersten Erguß schmerzvoller Freude ward das Mädchen nicht fertig in zahllosen Fragen. Lady Helena erzählte ihr, wie das Document gefunden worden, wie die Britannia an den Küsten Patagoniens gescheitert sei; wie nach dem Schiffbruch der Kapitän mit zwei Matrosen an’s Festland gelangt sein mußte; endlich, wie sie, auf diesem in
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