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Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Titel: Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
Autoren: P. B. Kerr
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einen weißen Flügel gekauft hatte – diese beiden Punkte hatten ihn auf seine Idee gebracht. Er wollte sich als John Lennon ausgeben. Besser gesagt, als John Lennons Geist.
    Philippa betrat die Wohnung, ging schnurstracks zum Flügel, stellte die Flasche auf die daneben stehende Heizung und drehte die Verschlusskappe ab. Es war keine Zeit zu verlieren: Miss Pickings würde jeden Moment eintreffen.
    »Jetzt lass ich dich allein, Bruderherz«, sagte Philippa in den Flaschenhals hinein. »Bis bald, hoffentlich. Und sei vorsichtig.«
    »Vergiss bloß nicht, mich abzuholen«, rief John ihr nach.
    Philippa fuhr mit dem Aufzug zum Eingangsbereich hinunter. In Gedanken war sie bei Isabel Getty, einer ihrer besten Freundinnen, die im Dakotagebäude wohnte, wenn sie nicht gerade in Hongkong war. Plötzlich öffnete sich die Aufzugtür und gab den Blick frei auf eine große dünne Frau mit kurz geschnittenem dunkelblondem Haar und gelblichen Zähnen. Es war Miss Pickings. Als sie Philippa erkannte, kniff sie die Augen zusammen. Philippa war Miss Pickings vorher nur ein einziges Mal begegnet, und zwar wenige Tage nachdem Mrs   Trump sie eingestellt hatte. Damals war Miss Pickings noch freundlich gewesen und hatte sich tatsächlich die Mühe gemacht, die Wohnung zu reinigen.
    »Was machst du hier?«, schnauzte sie und packte Philippa am Revers ihres Mantels.
    »Ich besuche eine Freundin«, sagte Philippa.
    »Wie heißt diese Freundin?«, wollte Miss Pickings wissen.
    »Isabel Getty. Lassen Sie mich los. Ich will gehen.«
    Miss Pickings trat einen Schritt zurück. Mit ihren blauen Augen, den hohen Wangenknochen und dem langen Hals sah sie aus wie eine burmesische Katze, und zwar eine hässliche. »Du bist ein ungezogenes, freches kleines Mädchen und ich konnte dich noch nie leiden. Weißt du das?«
    Philippa drängte sich an Miss Pickings vorbei und ging schnell zur Tür. Dieser Vorfall nahm ihr den letzten Zweifel an Johns Plan, ob er nun besonders klug war oder nicht.
    John in seiner Flasche, die auf der Heizung in Mrs   Trumps Wohnung stand, hatte es so warm wie in der Sauna. Nach Miss Pickings’ Arbeitsbeginn wartete er noch eine gute Viertelstunde, dann schwebte er aus der Flasche und nahm wieder seine normale Gestalt an. Er war ein ganzes Stück von der Küche entfernt, wo Miss Pickings sich bereits mit der Zeitung und einer Tasse Kaffee im Sessel niedergelassen hatte, Fernsehen schaute und dabei ein langes Ferngespräch führte.
    John duckte sich einen Moment hinter den Flügel, dann schlich er zur Küchentür, um sein Opfer genauer zu betrachten. Miss Pickings schien es sich für den Tag bequem gemacht zu haben. Es dauerte nicht lange, da stellte sie ihre Kaffeetasse beiseite, schloss die Augen und fing laut zu schnarchen an. Schlecht für Mrs   Trump, aber gut für John. Er ging leise wieder ins Wohnzimmer und setzte sich an den Flügel.
    Imagine
war John Lennons populärster Solo-Song gewesen, und er gehörte zu den wenigen Stücken, die John auf dem Klavier spielen konnte. Außerdem hatte er eine schöne Stimme. Es gelang ihm, die ganze erste Strophe zu singen, bevor er Schritte aus der Küche näher kommen hörte. Hastig murmelte er das Wort, mit dem er seine Dschinnkräfte bündelte: »ABECEDERISCH!« Und schon hatte er die Gestalt einer Zierfigur auf dem Flügel angenommen – die kitschige Porzellanfigur eines Cembalo spielenden Jungen in der Kleidung des achtzehnten Jahrhunderts.
    Es war ein komisches Gefühl, aus Porzellan zu sein und keinGlied regen zu können, aber hier oben hatte er einen freien Blick auf Miss Pickings, die sich mit unruhiger Miene dem Flügel näherte.
    »Ist da vielleicht jemand?«, sagte sie und schlug zaghaft ein paar Töne an.
    Könnten Porzellanfiguren lachen, wäre John nun fast von seinem kleinen Porzellanschemel gefallen; nur gut also, dass er im Augenblick unbeweglich war.
    Nach einer Weile ging Miss Pickings in die Küche zurück, und das war für John das Zeichen, wieder seine menschliche Gestalt anzunehmen und noch ein paar Takte von Lennons Song zu spielen. Danach verwandelte er sich von neuem und tauchte in die saunaähnlichen Verhältnisse ein, die in der silbernen Flasche auf der Heizung inzwischen herrschten. Um nicht etwa doch noch entdeckt zu werden, beschloss er, an diesem Vormittag nichts mehr zu riskieren und sich bis zu Philippas Rückkehr häuslich in der Flasche einzurichten. Bevor sie mit Mrs   Trump zurückkommen konnte, würden mindestens noch zehn Stunden
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