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Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres
Autoren: Falcones Ildefonso
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gekämpft – als Fußvolk natürlich –, aber gegen die Ritter hatten wir keine Chance. Als die nächsten Grafen von Barcelona die Zügel in Katalonien wieder an sich reißen wollten, sahen sie sich einem reichen und mächtigen Adel gegenüber, mit dem sie zu paktieren gezwungen waren, und das immer auf unsere Kosten. Zuerst war es unser Land, das alte Katalonien, dann unsere Freiheit, unser Leben … und schließlich unsere Ehre. Deine Großeltern waren es, die unsere Freiheit verloren«, hatte er mit zitternder Stimme erzählt, den Blick unverwandt auf die Felder gerichtet. »Man untersagte ihnen, ihr Land zu verlassen. Man machte sie zu Leibeigenen, die an ihren Grund und Boden gefesselt waren, wie später ihre Kinder – ich – und ihre Enkelkinder – du. Unser Leben … dein Leben liegt in den Händen des Grundherrn, dem es obliegt, Recht zu sprechen, und der das Recht hat, uns zu misshandeln und unsere Ehre zu verletzen. Wir können uns nicht einmal wehren! Wenn dir jemand Unrecht tut, musst du zu deinem Grundherrn gehen, damit dieser Entschädigung fordert, und wenn er sie bekommt, behält er die Hälfte für sich.«
    Dann zählte er ihm immer wieder die zahlreichen Rechte des Herrn auf, Rechte, die sich Bernat ins Gedächtnis eingegraben hatten, weil er es nie gewagt hatte, den aufgebrachten Monolog seines Vaters zu unterbrechen. Der Herr konnte von einem Leibeigenen jederzeit einen Teil seines Besitzes einbehalten, wenn dieser ohne Testament starb, wenn er kinderlos blieb oder seine Frau Ehebruch beging, wenn der Hof abbrannte oder er diesen belieh, wenn er die Leibeigene eines anderen Grundherrn heiratete und natürlich, wenn er ihn verlassen wollte. Der Grundherr konnte in der ersten Nacht mit der Braut schlafen, er konnte die Frauen dazu verpflichten, seine Kinder zu stillen, und ihre Töchter, als Mägde auf der Burg zu dienen. Ein Leibeigener war verpflichtet, ohne Entgelt das Land des Grundherrn zu bestellen und zur Verteidigung der Burg zu kämpfen. Er musste einen Teil der Erträge seiner Felder abliefern und seinen Herrn oder seine Gesandten in seinem Haus aufnehmen und sie während ihres Aufenthaltes bewirten. Er musste für die Nutzung des Waldes oder des Weidelandes ebenso zahlen wie für die Benutzung der herrschaftlichen Schmiede, des Backhauses oder der Mühle, und er musste zu Weihnachten und anderen Feiertagen Geschenke abliefern.
    Und was war mit der Kirche? Als er seinem Vater diese Frage gestellt hatte, war dessen Stimme noch wütender geworden.
    »Mönche, Ordensleute, Priester, Diakone, Erzdiakone, Kanoniker, Äbte, Bischöfe … sie alle sind um keinen Deut besser als die Feudalherren, die uns unterdrücken! Sie haben uns sogar untersagt, den Habit zu nehmen, damit wir unser Land nicht verlassen können und unsere Knechtschaft ewig währt!«
    »Bernat«, hatte er ihm bei diesen Gelegenheiten geraten, wenn die Kirche zur Zielscheibe seines Zorns wurde, »vertraue nie denen, die behaupten, Gott zu dienen. Sie werden dir gute Worte geben, die so hochgestochen sind, dass du sie nicht verstehst. Sie werden dich mit Argumenten zu überzeugen versuchen, denen nur sie folgen können, bis sie sich deines Verstandes bemächtigt haben. Sie werden dir gegenüber als gütige Menschen auftreten, die behaupten, uns vor dem Bösen und der Versuchung erretten zu wollen, doch in Wirklichkeit steht ihre Meinung über uns fest, und all diese Soldaten Christi, wie sie sich nennen, werden keinen Deut von dem abweichen, was in ihren Büchern steht.«
    »Vater«, hatte Bernat ihn daraufhin gefragt, »was steht in ihren Büchern über uns Bauern?«
    Sein Vater hatte über die Felder geblickt, bis dorthin, wo sie in den Himmel übergingen.
    »Sie sagen, wir seien wie die Tiere, unfähig zu begreifen, was Höflichkeit bedeutet. Sie sagen, wir seien schändlich, niederträchtig und verabscheuungswürdig, schamlos und unwissend. Sie sagen, wir seien grausam und starrsinnig, wir hätten keine Ehre verdient, weil wir sie nicht zu schätzen wüssten, und verstünden nur die Sprache der Gewalt. Sie sagen …«
    »Ist es denn so, Vater?«
    »Das wollen sie aus uns machen, mein Sohn.«
    »Aber Ihr betet jeden Tag, und als Mutter starb …«
    »Zur Jungfrau bete ich, mein Sohn, zur Jungfrau. Unsere Jungfrau Maria hat nichts mit den Mönchen und Priestern zu schaffen. An sie können wir weiterhin glauben.«
    Bernat Estanyol hätte sich gerne morgens auf die Fensterbrüstung gelehnt und mit seiner jungen Frau
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