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Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres
Autoren: Falcones Ildefonso
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plötzlich, mit siebenundzwanzig Jahren, war er auf einmal allein und wurde förmlich belagert.
    Der erste Besuch jedoch, den Bernat erhalten hatte, als er den Toten noch nicht begraben hatte, war der des Verwalters des Herrn von Navarcles gewesen, seines Feudalherren. »Wie recht du doch hattest, Vater!«, dachte Bernat, als er den Verwalter mit mehreren berittenen Soldaten kommen sah.
    »Wenn ich sterbe«, hatte der Alte in seinen klaren Momenten immer wieder gesagt, »werden sie kommen. Dann musst du ihnen das Testament zeigen.«
    Und mit diesen Worten hatte er auf den Stein gedeutet, unter dem, in Leder eingeschlagen, das Schriftstück mit dem letzten Willen des verrückten Estanyol lag.
    »Warum, Vater?«, wollte Bernat beim ersten Mal wissen.
    »Wie du weißt, besitzen wir dieses Land als Erbpacht. Aber ich bin Witwer, und wenn ich kein Testament gemacht hätte, hätte der Grundherr bei meinem Tod ein Anrecht auf die Hälfte unseres gesamten Hausrats und des Viehs. Dieses Recht nennt sich Intestia . Es gibt noch viele andere solcher Rechte zugunsten der Herren, und du solltest sie alle kennen. Sie werden kommen, Bernat, sie werden kommen, um mitzunehmen, was uns gehört, und nur wenn du ihnen das Testament zeigst, kannst du sie loswerden.«
    »Und wenn sie es mir wegnehmen?«, fragte Bernat. »Du weißt ja, wie sie sind …«
    »Selbst wenn sie es täten – es ist in den Büchern registriert.«
    Der Zorn des Verwalters und des Grundherrn hatte sich in der ganzen Gegend herumgesprochen und den Sohn noch attraktiver gemacht, der den gesamten Besitz des Verrückten erbte.
    Bernat erinnerte sich sehr gut an den Besuch, den ihm sein jetziger Schwiegervater vor dem Beginn der Ernte abgestattet hatte. Fünf Sueldos, eine Matratze und ein weißlinnenes Hemd, das war die Mitgift, die er für seine Tochter Francesca bot.
    »Was soll ich mit einem weißlinnenen Hemd?«, wollte Bernat wissen, während er weiter das Stroh in der ebenerdigen Scheune des Hofes verteilte.
    »Schau doch«, antwortete Pere Esteve.
    Auf die Heugabel gestützt, blickte Bernat zum Eingang hinüber, zu dem Pere Esteve deutete. Das Gerät fiel ihm aus der Hand. Im Gegenlicht stand Francesca. Sie trug das weißleinene Hemd und ihr gesamter Körper zeichnete sich darunter ab.
    Ein Schauder war Bernat den Rücken hinabgelaufen und Pere Esteve hatte gelächelt.
    Bernat war auf das Angebot eingegangen, gleich dort im Heuschober, ohne sich dem Mädchen auch nur zu nähern. Aber er hatte kein Auge mehr von ihm gewendet.
    Es war eine überstürzte Entscheidung gewesen, das wusste Bernat, aber er konnte nicht behaupten, dass er sie bereute. Dort drüben stand Francesca, jung, schön, stark. Sein Atem beschleunigte sich. Noch heute … Was das Mädchen wohl dachte? Empfand sie genauso wie er? Francesca beteiligte sich nicht an der fröhlichen Unterhaltung der Frauen. Sie stand schweigend und mit ernstem Gesicht neben ihrer Mutter und quittierte die Scherze und das Gelächter der anderen mit einem gezwungenen Lächeln. Ihre Blicke begegneten sich für einen Moment. Sie errötete und sah zu Boden, doch Bernat beobachtete, wie sich ihre Brüste unruhig hoben und senkten. Die Erinnerung an das weißleinene Hemd und den darunter durchschimmernden Körper beflügelte erneut Bernats Phantasie und Verlangen.
    »Herzlichen Glückwunsch!«, hörte er hinter sich, während ihm jemand kräftig auf den Rücken klopfte. Sein Schwiegervater war zu ihm getreten. »Gib gut auf sie acht«, setzte er hinzu, während er Bernats Blick folgte und auf das Mädchen deutete, das nicht mehr wusste, wohin es schauen sollte. »Möge das Leben, das du ihr bietest, wie dieses Fest sein … Es ist der beste Festschmaus, den ich je gesehen habe. Mit Sicherheit kommt nicht einmal der Herr von Navarcles in den Genuss solcher Köstlichkeiten!«
    Bernat hatte seine Gäste gut bewirten wollen und siebenundvierzig Laibe Weißbrot aus Weizenmehl vorbereitet – keine Gerste, kein Roggen oder Dinkel, wie sie die Bauern für gewöhnlich aßen. Helles Weizenmehl, weiß wie das Hemd seiner Frau! Mit den Laiben beladen, war er zur Burg von Navarcles gegangen, um sie im Backhaus des Grundherrn zu backen, in der Annahme, dass zwei Laibe, wie sonst auch, als Bezahlung ausreichen würden. Beim Anblick der Weizenbrote waren die Augen des Bäckers groß wie Teller geworden, um sich dann zu zwei schmalen Schlitzen zu verengen. Diesmal hatte der Preis sieben Laibe betragen, und als Bernat die Burg
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