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Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres
Autoren: Falcones Ildefonso
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zwei Wochen hatte er Francesca jegliche Anstrengung verboten, nachdem sie zweimal ohnmächtig geworden war. Bernat blickte erneut über die riesigen Felder, die ihn erwarteten. Die Frauen auf dem Land bekamen ihre Kinder während der Arbeit, aber nachdem Francesca zum zweiten Mal zusammengebrochen war, hatte er nicht umhingekonnt, sich Sorgen zu machen. Und wenn das Kind nicht seines war?
    Bernat packte die Sichel und begann mit Kraft, das Korn zu schneiden. Die Ähren flogen nur so durch die Luft. Die Mittagssonne stand hoch am Himmel. Bernat hielt nicht einmal inne, um zu essen. Das Feld war schier endlos. Er hatte immer gemeinsam mit seinem Vater das Korn geschnitten, selbst als dieser bereits krank gewesen war. Die Getreideernte schien ihm neue Kraft zu verleihen. »Auf geht's, mein Sohn!«, hatte er ihn ermuntert. »Warten wir nicht, bis uns ein Unwetter oder ein Hagelschauer die Ernte vernichten.« Und dann hatten sie gesichelt. Wenn einer von beiden müde war, hatte er Unterstützung beim anderen gesucht. Sie hatten im Schatten gegessen und guten Wein getrunken, den gereiften seines Vaters, und geplaudert und gelacht … Nun hörte er seine Sichel durch die Luft zischen und die Ähren schneiden, sonst nichts, nur die Sichel, und die Frage, wer der Vater seines zukünftigen Kindes war, ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf.
    In den folgenden Tagen war Bernat bis Sonnenuntergang bei der Ernte. Einmal arbeitete er sogar im Mondschein. Wenn er zum Gehöft zurückkehrte, stand das Abendessen auf dem Tisch. Er wusch sich am Becken und aß lustlos. Bis sich eines Abends plötzlich die Wiege bewegte, die er während des Winters getischlert hatte, als Francescas Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen gewesen war. Bernat bemerkte es aus den Augenwinkeln, löffelte aber weiter seine Suppe. Ein Löffel, zwei, drei. Die Wiege bewegte sich erneut. Bernat starrte hinüber, der vierte Löffel mit Suppe war in der Luft versteinert. Er sah sich im Raum um, ob etwas auf die Anwesenheit seiner Schwiegermutter hindeutete, aber nein. Francesca hatte das Kind alleine zur Welt gebracht … und sich dann schlafen gelegt.
    Er legte den Löffel hin und erhob sich. Doch bevor er die Wiege erreichte, blieb er stehen, drehte sich um und setzte sich wieder. Stärker als je zuvor überkamen ihn Zweifel bezüglich dieses Kindes.
    »Alle Estanyols haben ein Muttermal neben dem rechten Auge«, hatte sein Vater zu ihm gesagt. Er selbst hatte es, und auch sein Vater hatte es gehabt. »Dein Großvater hatte es auch«, hatte dieser beteuert, »und der Vater deines Großvaters …«
    Bernat war erschöpft. Er hatte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ohne auszuruhen gearbeitet. Seit Tagen tat er das nun schon. Erneut sah er zu der Wiege hinüber.
    Er stand wieder auf und trat zu dem Kind. Es schlief friedlich, die Fäustchen geöffnet, unter einer Decke, die aus den Fetzen eines weißleinenen Hemdes genäht war. Bernat drehte das Kind zu sich um, um sein Gesicht zu sehen.

3
    Francesca sah das Kind nicht an. Sie gab dem Kleinen, den sie Arnau genannt hatten, erst die eine Brust, dann die andere, aber sie sah ihn nicht an. Bernat hatte viele Bäuerinnen ihre Kinder säugen sehen, und alle, von der reichsten bis zur ärmsten, hatten sie gelächelt, die Augen gesenkt oder ihre Kinder gestreichelt, während sie ihnen die Brust gaben. Nicht so Francesca. Sie wusch das Kind und versorgte es, doch in den zwei Monaten seines Lebens hatte Bernat nicht einmal gehört, dass sie mit ihm geschäkert hätte. Sie spielte nicht mit ihm, fasste es nicht an den Händchen, noch küsste oder kitzelte sie es. ›Was kann der Kleine dafür?‹, dachte Bernat, wenn er Arnau auf dem Arm hielt. Dann ging er mit ihm weg, um fernab von Francescas Kälte mit ihm zu sprechen und ihn zu streicheln.
    Denn es war sein Kind. ›Alle Estanyols haben es‹, sagte sich Bernat, wenn er das Muttermal küsste, das Arnau neben der rechten Augenbraue hatte. »Wir alle haben es«, sagte er dann noch einmal laut, während er den Jungen zum Himmel hob.
    Dieses Muttermal war bald mehr als nur eine Beruhigung für Bernat. Wenn Francesca zur Burg ging, um Brot zu backen, hoben die Frauen die Decke hoch, unter der Arnau lag, um ihn zu betrachten. Francesca ließ sie gewähren, und dann lächelten sie sich vor den Augen des Bäckers und der Soldaten zu. Und als Bernat ging, um das Land seines Herrn zu bestellen, klopften ihm die Bauern auf die Schultern und gratulierten ihm, diesmal vor
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