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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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wegen des heißen Tages zusammengerollt und an den Sattel geschnallt hatte.
    Vincenzo löste die Riemen, warf sich den Mantel über und trabte frech auf das Tor zu. Die Gardisten, die es bewachten, schwatzten miteinander und warfen dem Reiter nur einen flüchtigen Blick zu. Vincenzo grüßte sie lachend und ließ Gonzagas Rappen mit einem Zungenschnalzen antraben. Draußen vor der Stadt konnte er ihn eine Weile galoppieren lassen. Doch so würde er seine Verfolger auch nicht los. Daher zügelte er das Pferd, sowie er außer Sichtweite des Tores war, und lenkte es querfeldein, bis er auf einen Feldweg stieß, der parallel zur Straße nach Norden führte. Dem folgte er in leichtem Trab und begann, über seine Situation nachzudenken.
    Eines stand für ihn fest: Er würde Giulio befreien. Nur über das Wie war er sich noch nicht im Klaren. Da er von Gonzaga erfahren hatte, wo man Giulio verhaftet hatte, wusste er, über welche Straße man ihn nach Rom bringen würde. Er konnte seinen Häschern noch ein Stück entgegenreiten und dann auf seine Chance lauern. Vincenzo rechnete auf das Überraschungsmoment, denn niemand, noch nicht einmal Gonzaga, würde annehmen, dass er den Kastraten befreien wollte, anstatt so schnell wie möglich aus dem Machtbereich des Papstes zu verschwinden. Vorher musste er sich allerdings noch etwas zu essen besorgen und vor allem andere Kleider. Ein Mann, der mit leichten Schuhen und barhäuptig zu Pferd saß, fiel auf, besonders, wenn sein Mantel und das Sattelzeug so prächtig waren wie das, was er Gonzaga abgenommen hatte.
    Ganz in Gedanken versunken ritt Vincenzo auf eine Gruppe bewaldeter Hügel zu und tauchte in deren kühlem Dämmerlicht unter. Hier war es so still, als gäbe es keine anderen Menschen auf der Welt, und zum ersten Mal nach seiner Flucht fühlte er sich wirklich sicher. Zu sicher, wie er bald feststellen musste. Als er dicht vor sich einen Ast knacken hörte, war es schon zu spät. Ein halbes Dutzend grinsender Galgenvögel umringte plötzlich sein Pferd und richtete Flinten auf ihn. »Ich sagte Euch doch, dass wir heute Glück haben werden. Wir mussten noch nicht einmal bis zur Landstraße laufen«, rief ein kleiner, glatzköpfiger Bursche, der Vincenzo irgendwie bekannt vorkam. Dann erinnerte er sich an ihn. Es war Benedetto, die rechte Hand des Räuberhauptmanns Alessandro Tomasi.
    Vincenzo stieß einen obszönen Fluch aus und hob die Hände. »Jetzt bin ich vom Regen in die Traufe geraten.«
    Die Kerle packten ihn an den Beinen, zogen ihn vom Pferd und fesselten ihn mit einer Schnelligkeit, die langjährige Übung verriet. Als sie seine Satteltaschen durchsuchten und die Pistolen entdeckten, erinnerte sich auch Vincenzo wieder an die Waffen und ärgerte sich, dass er sich ohne den Versuch einer Gegenwehr hatte gefangen nehmen lassen. Vielleicht wäre es ihm gelungen, sich durchzukämpfen. Doch ein Blick in die Gesichter der Räuber und auf ihre Flinten sagte ihm, dass er keine Chance gehabt hätte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf sein Verhandlungsgeschick zu verlassen. »He Leute, was wollt ihr denn vor mir? Ich bin ein armer Kerl, der keinen einzigen Dukaten besitzt.«
    Benedetto lachte höhnisch auf. »Sehr wahrscheinlich, bei dem Gaul, den du reitest. Der Hengst ist aus bester spanischer Zucht, wenn du mich fragst.«
    »Den habe ich mitgehen lassen, als ich ganz schnell aus Rom verduften musste.« Vincenzo hoffte, sie milder zu stimmen, wenn er sich gleich ihnen als Gesetzlosen ausgab.
    Seine Worte schienen Eindruck zu machen. Benedetto musterte das voll gesattelte und gezäumte Pferd und warf einen schiefen Blick auf Vincenzos Kleidung. »Du siehst wirklich nicht so aus, als hättest du die Absicht gehabt, heute auszureiten. Was hat dich denn in den Sattel getrieben, ein eifersüchtiger Ehemann oder eine vor Wut kochende Ehefrau?«
    »Keines von beiden. Aber ich glaube, darüber sollte ich besser mit deinem Hauptmann sprechen.«
    Vincenzo war eben ein Gedanke gekommen, der ihm so verrückt erschien, dass er selbst davor erschrak. Um Giulio zu befreien, hätte er sich jedoch selbst mit dem Satan verbündet, und Tomasi stand der Meinung der meisten Leute zufolge dem Teufel kaum nach. Doch er hatte Giulio gegenüber zumindest eine gewisse Sympathie gezeigt, und darauf wollte Vincenzo bauen.
    Benedetto sah die anderen Räuber kurz an und tippte Vincenzo mit dem Lauf seiner Flinte an. »Also gut, wir bringen dich zu Tomasi. Beschwere dich jedoch nicht,
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