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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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»Ihr seid festgenommen, Vincenzo de la Torre. Oder soll ich besser Torelli zu Euch sagen? Ihr hättet Euch einen anderen Namen wählen sollen. Er beschmutzt das Wappenschild Eurer Familie.«
    »Während Ihr dem Wappen Eurer Familie zur Zierde gereicht.« Vincenzo gab sich gelassen, aber seine Augen versuchten, die gesamte Situation zu erfassen.
    »Zumindest kann man mir nicht nachsagen, dass ich meinen Nagel ins falsche Loch getrieben habe«, biss Gonzaga zurück.
    Die Schreiber im Raum, deren Zahl sich mittlerweile um eine stattliche Zahl von Schaulustigen vergrößert hatte, stießen sich grinsend an. »Ich sagte doch, dass mit dem Kerl was nicht stimmt«, erklärte einer von ihnen selbstzufrieden.
    Vincenzo schüttelte unterdessen belustigt den Kopf. »Dieser Vorwurf ist aber arg an den Haaren herbeigezogen.«
    Gonzaga spielte seinen nächsten Trumpf aus. »Man hat Zeugen, dass Ihr es mit Casamonte getrieben habt. Der Krüppel befindet sich bereits im Gewahrsam der Inquisition. Er wurde bei Verona verhaftet und wird in wenigen Tagen nach Rom gebracht. Na, vielleicht ist der Kerkermeister so großzügig und sperrt euch in dieselbe Zelle.«
    Gonzagas Worte trafen Vincenzo wie ein Schlag. Giulio in den Händen der Inquisition!, hallte es in seinen Gedanken. Es schien undenkbar. Giulio war der liebste Mensch auf Erden und tat keiner Fliege etwas zu Leide. Und doch war er in die Fänge der weltlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit Roms geraten. Vincenzo stellte sich vor, wie die Folterknechte den Kastraten quälen würden. Nicht einmal ein kräftiger, gesunder Mann konnte diese Tortur lange ertragen, ohne alles zu gestehen, was man ihm vorwarf.
    Nein, nicht Giulio, dachte er verzweifelt. In Bruchteilen von Sekunden kehrte sein kühles Blut zurück. Er sah Gonzaga an, der genüsslich die Arme vor der Brust verschränkt hielt und sich in seinem Triumph sonnte. Die vier Gardisten hatten zwar ihre Hände auf die Schwertgriffe gelegt, grinsten jedoch über das Ganze wie über einen gelungenen Scherz, und die Schreiber hatte Vincenzo noch nie ernst genommen. Er wusste das Fenster hinter sich. Es war nicht vergittert und groß genug für einen entschlossenen Mann. Wenn er Pech hatte, würde er sich bei dem Sturz sämtliche Knochen brechen, aber das war auch nicht schlimmer, als sich wie Vieh zur Schlachtbank führen zu lassen.
    Vincenzo ließ die Schultern hängen und streckte die Hände nach vorne, so als würde er sich in sein Schicksal ergeben. Gonzaga trat einen Schritt zurück und winkte ihm, aufzustehen. In dem Moment schoss Vincenzo wie von einer Stahlfeder getrieben hoch, stieß den Offizier gegen seine Gardisten und sprang mit der Schulter zuerst durch das geschlossene Fenster. Das Glas zerbarst, und die Bleifassung krachte ohrenbetäubend. Vincenzo wirbelte durch die Luft und fiel in einem Splitterhagel zu Boden. Wie durch ein Wunder blieb er fast unverletzt. Noch im Schwung des Aufpralls kam er wieder auf die Beine und sah Gonzagas Pferd vor sich, das ein völlig konsternierter Gardist am Zügel hielt. Vincenzo reagierte instinktiv. Während der Soldat ihn noch idiotisch grinsend anstarrte, riss er ihm den Zügel aus den Händen, sprang in den Sattel und stieß dem Pferd die Fersen in die Weichen. Den Aufschrei des Mannes vernahm er erst, als das Tier die nächste Ecke im vollen Galopp nahm.
    Wenn er nicht auffallen wollte, musste er allerdings das Risiko eingehen, das Tier zu zügeln und im leichten Trab oder sogar im Schritt weiterzureiten. Daher schlug er in den nächsten Minuten mehrmals eine andere Richtung ein, bis er sich schließlich ganz gemächlich durch die Menge treiben ließ und sich dabei vorsichtig der Porta del Popolo näherte. Er war froh, nicht jenseits des Tibers im Vatikan gearbeitet zu haben. Von dort aus wäre ihm die Flucht wohl kaum gelungen. Auch jetzt war er noch lange nicht in Sicherheit. Wahrscheinlich ließ Paolo Gonzaga schon die Gardisten ausschwärmen und die Tore sperren.
    Bei diesem Gedanken wurde Vincenzo schneller. Er ignorierte das empörte Schimpfen einiger Passanten ebenso wie die Gefahr, dass sie ihn anhand seiner Beschreibung wiedererkennen und den Gardisten die Richtung seiner Flucht nennen konnten. Kurz bevor er das nördliche Stadttor erreichte, sah er nach, was Gonzaga bei dem Pferd zurückgelassen hatte. Die beiden geladenen Radschlosspistolen in der Satteltasche kamen ihm gerade recht, ebenso der mit dem päpstlichen Wappen versehene Reitermantel, den Gonzaga wohl
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