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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels
Autoren: Rachel Hore
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schrecklich!«
    »Findest du?«, fragte er und tat so, als würde er einen Nonnenfalter untersuchen. »Hm, mir gefällt der Gedanke.«
    Sie lachte auf, brach dann ab. »Oh!« Außerhalb des Lichtkreises war es jetzt rabenschwarz. Immer mehr Falter drängten sich in den Lichtschein, ließen sich auf dem Tuch nieder oder kreisten wie verrückt oberhalb des Lichts. Viele tauchten in die Box und schlugen mit den Flügeln, bevor sie in den Eierkarton krochen, wo sie darauf warteten, identifiziert zu werden. Euan rief ihr einen Namen nach dem anderen zu, und Jude notierte die seltsamen Worte nach Gehör, wenn sie nicht wusste, wie man sie buchstabierte.
    Eine Stunde vor Mitternacht hatte sie sechsundfünfzig Arten aufgeschrieben. Um Mitternacht waren es einhundertzehn.
    »Unglaublich!«, sagte Jude, nachdem sie gezählt hatten.
    »Und zu jeder Jahreszeit gibt es andere«, erklärte Euan. »Seit ich hier hergekommen bin, habe ich allein hier im Wald fast fünfhundert Arten gefunden.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele sind.«
    »Im Vereinigten Königreich gibt es zweitausendsiebenhundert verschiedene Falter«, fuhr er fort, »aber nur vierundsechzig Schmetterlinge. Ein oder zwei verlieren wir wegen des Klimawandels oder aus anderen Gründen, aber dann entdecken wir auch immer wieder neue Arten.«
    »Und du protokollierst all diese Ergebnisse?«
    »Ja, natürlich. Hier in der Gegend gibt es viele Leute, die sich sehr für Falter interessieren, und wir bündeln unser Wissen. Aber jetzt haben wir genug gesehen, findest du nicht? Wenn du die Laterne anknipst, schalte ich das Licht aus, und wir können wieder einpacken.«
    Jude hielt die Laterne und schaute zu, wie er die Falle mit geschickten Fingern wieder abbaute und die Falter herausschüttelte, die sich hartnäckig weigerten, die Eierkartons oder das Tuch zu verlassen. Sie hingen sogar in ihren Haaren und in der Kleidung, und sie strichen sie sich gegenseitig lachend ab. Dann sammelten sie alles ein und gingen zurück zum Wagen.
    Über ihren Köpfen wurden die letzten Wolkenfetzen weggeweht.
    »Sieh nur die Sterne!«, rief Jude. »Oh, sieh nur die Sterne!«
    Sie standen nebeneinander, hatten die Arme umeinandergeschlungen und schauten hinauf zu dem Licht über ihren Köpfen. »Es sind so viele heute Nacht.« Ja, es waren Hunderte und Aberhunderte. Allein vom Hinschauen wurde ihnen schwindlig.
    »Hier.« Euan holte das Tuch aus der Tasche, das sie für die Falter benutzt hatten, schüttelte es nochmals aus und breitete es über den Boden. Zusammen legten sie sich hin, hielten einander an den Händen und blickten hinauf zum Himmel.
    »Ein wahrer Ozean an Sternen«, flüsterte Euan.
    »Ich bin mir sicher, dass sie sich bewegen. Der ganze Himmel bewegt sich«, rief Jude.
    Er lachte und drückte ihr die Hand. »Nicht der Himmel, Jude. Die Erde. Die Erde dreht sich.«
    »Ja, natürlich.«
    » Rolling onwards into the light . Ich glaube, das stammt aus einem Kirchenlied.«
    » Da, ich hab was gesehen. Was war das?«
    »Eine Sternschnuppe. Das sind die Plejaden. Ein Meteoritenschauer. Oh, da ist noch einer.«
    Und dann hielt sie Ausschau nach Sternschnuppen, überall gab es welche, plötzliche Lichtspuren, sehr klein, wie Funken eines Feuerwerks, die kurz aufschienen und wieder verloschen.
    »Ein komisches Gefühl, so als ob sie ihre Vorführung nur für uns abhielten«, flüsterte Jude.
    »Natürlich tun sie das«, sagte Euan entschieden.
    Schweigend lagen sie da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Und dann fiel Jude ein, wann sie schon einmal zu den Sternen hinaufgeschaut und ein überwältigendes Glücksgefühl empfunden hatte. Es war nach der Abschlussfeier in der Schule gewesen, mit Mark, als er ihr bei einem Stern ewige Freundschaft gelobt hatte. Es war einer der wichtigsten Augenblicke in ihrem Leben gewesen. Aber nun war es Zeit für sie zu akzeptieren, dass es vorbei war. Lange vorbei. Versunken in der Vergangenheit, wie auch Mark in der Vergangenheit versunken war. Sie versuchte, das Glücksgefühl wiederzuerlangen, das sie damals empfunden hatte ... die beiden Momente, damals und jetzt, verschmolzen kurz in einer Intensität, die ihr die Tränen in die Augen trieb. Mark war fort, hingegangen in die Obhut des Hüters der Sterne. Aber die Sterne waren immer noch da. Und Euan, der dicht neben ihr wartete.
    Sie rollte sich zu ihm, schmiegte sich in seine Armbeuge, und bald begann er sie wieder zu küssen. Jude und Euan liebten sich, während die Erde sich
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