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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels
Autoren: Rachel Hore
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immer, jetzt gab es ja Jon.
    »Ich habe darüber nachgedacht, was du mir gesagt hast. Dass ich sie bemitleide.« Was war seit jenem Gespräch nicht alles passiert! »Inzwischen denke ich ganz anders über sie. Ich empfinde kein Mitleid mehr für sie. Du hattest recht. Wir müssen unser eigenes Leben leben, unsere eigenen Entscheidungen fällen. Claire und ich empfinden die Dinge unterschiedlich.«
    Euan schwieg einen Moment lang. Schließlich sagte er mit einem Hauch Zärtlichkeit in der Stimme: »Und wie empfindest du ... die Dinge?«
    Jude streckte die Hand aus und berührte sein Gesicht in der Dunkelheit. Er trat einen Schritt vor und hielt sie jetzt dicht an sich, und ihre Gesichter waren nur einen Hauch voneinander entfernt. Und dann zog er sie an sich, und seine Lippen verteilten lauter kleine flatternde Küsse auf ihrem Gesicht und trafen ihren Mund, und dann klammerten sie sich aneinander. Jude spürte, wie ihr Körper sich wunderbar an seine Konturen schmiegte, und einen Moment lang pressten sie sich aneinander und spürten den Herzschlag des anderen. »Wenn du schon fragst, ich fühle mich ...«, flüsterte sie, »unheimlich glücklich.« Sie schwankte leicht, wie aus einem Übermaß an Glück, und er hielt sie fest.
    »Ich mich auch«, sagte Euan, küsste sie wieder und sagte schließlich: »Komm mit. Wir sollten lieber runtergehen, bevor uns schwindlig wird und wir abstürzen.« Sie kicherte.
    Am Fuß der Leiter blieben sie stehen und umarmten sich wieder, bevor er sie die Treppe hinunterführte. Unten stellte Euan die Laterne ab, und mit einer raschen, impulsiven Bewegung schwang er sie die letzten Stufen hinunter und drückte sie an die Wand. Er küsste sie äußerst leidenschaftlich, bis sie sich darüber beklagte, dass die verdammten Ziegelsteine sich ihr in den Rücken bohrten.
    Er lachte, streifte ihr Laub aus dem Haar, und zusammen traten sie in die Nacht hinaus.
    »Sieh nur!«, rief er, und sie schrie auf vor Überraschung.
    Im hellen Licht auf der anderen Seite der Lichtung wirbelte ein großer Schwarm Nachtfalter. »Komm mit.« Hand in Hand liefen sie zu der Falle hinüber.
    »Das sind ja Hunderte!«, rief Jude und drehte sich um die eigene Achse, um alles zu sehen.
    »Das habe ich dir doch gesagt. Wo ist das Notizbuch? Hier, halt mal fest, und hier hast du Stift und Taschenlampe. Jetzt lass uns mal einen Blick darauf werfen.« Er kniete sich hin, ganz geschäftsmäßig mitten in den Insektenschwarm, und zog eine Plexiglasscheibe weg. Dutzende Nachtfalter hatten sich in den Eierkartons niedergelassen und breiteten ihre wunderhübschen Flügel aus wie Damen in Krinolinen.
    »Hier, sieh mal, was ist das denn für ein großes Ding?«, rief Jude beim Anblick eines großen pelzigen goldfarbenen Falters.
    »Das ist eine Trinkerin. Sie heißt so wegen ihrer durstigen Raupe«, erklärte er. »Mach schon, schreib auf, Trinkerin.«
    Jude gehorchte. »Und das hier ist ein gewöhnlicher Smaragd-Grünspanner.« Ein kleiner hellgrüner Falter. Sie notierte. »Zwei gesprenkelte Falter, drei satinweiße.«
    »Oh, die sind wirklich wunderschön«, rief Jude, »die gefallen mir am besten!«
    »Hier sind noch zwei. Und schau nur, wer hier kommt! Ein mittlerer Weinschwärmer.«
    »Wie schön!« Sie starrte auf das große, pelzige Geschöpf in Pink und Braun, das wie verrückt herumflatterte, bevor es sich auf dem Plexiglas niederließ.
    Euan stellte einen Eierkarton ab und nahm den nächsten. »Diese kleinen hier sind primitiver. Man nennt sie auch Mikrofalter, im Gegensatz zu den evolutionär weiterentwickelten Makrofaltern. Ah!«
    Er wühlte in einer Tasche und zog ein Plastikgefäß heraus. Ganz vorsichtig verfrachtete er ein zartes Insekt hinein, das er Jude noch nicht beschrieben hatte, und verschloss den Behälter. »Wie ich mich über die hier freue! Eine Catoptria pinella . Der Beweis für meine Vermutung, dass Migration stattfindet, das heißt, dass die Insekten aus einer Region in die andere einwandern. Dieser kleine Kerl hier muss ziemlich weit geflogen sein. In dieser Gegend gibt es nämlich keine Kiefern. Erst in der Nähe des Dorfes.«
    »Wie kommt er wieder nach Hause?«
    »Überhaupt nicht, fürchte ich. Die ausgewachsenen Falter leben nicht besonders lange. Sie pflanzen sich rasch fort, nachdem sie aus den Puppen geschlüpft sind, und damit haben sie ihren Job auch schon erledigt.«
    »Und all die Anstrengung, zum Falter zu werden, nur um sich fortzupflanzen und danach zu sterben? Das ist ja
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