Die Karte Des Himmels
anzufeuern. Die Wiese müsste mal wieder gemäht werden, dachte sie und zog ihre nackten Beine aus dem kratzigen Gras.
»Deine Großmutter hat mich am Dienstag besucht«, erwiderte Euan und schüttete Kohlen in die hungrigen Flammen.
»Sie ist hergekommen? Wirklich? Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht sehen wollte, wie sich das Haus verändert hat.«
»Der Grund war wohl, dass sie nun weiß, was aus Tamsin geworden ist. Sie hat Claire meine Telefonnummer abgeschwatzt. Und mich gefragt, ob es mir etwas ausmachen würde, sie abzuholen. Also habe ich sie hergeholt und auf einen Tee eingeladen.«
»Das war sehr nett von dir.«
»Nein, überhaupt nicht. Es war faszinierend. Sie hat mich in meinem eigenen Haus herumgeführt und mir erklärt, wie alles ausgesehen hat, als sie klein war. Sie kann ein paar wunderbare Geschichten erzählen, und als ich sie wieder nach Hause gebracht hatte, haben wir uns noch ein paar Fotos angesehen, aus einer Schachtel, die wir vom Dachboden geholt haben. Sie hat mir auch noch etwas anderes gezeigt. Und das ist der Schlüssel zu allem. Hast du irgendwann mal eure alte Familienbibel gesehen?«
»Ja, aber das ist schon Jahre her.« Gran verwahrte die Bibel zusammen mit Telefonbüchern und ein paar alten Segelhandbüchern von Grandad im Küchenschrank. Wie in vielen Familien üblich, waren auf den leeren Seiten vorne und hinten in der Bibel die Sterbefälle und Hochzeiten der Bennetts im Laufe der Generationen eingetragen.
»Es ist ein spannendes Dokument. Wir haben es uns zusammen angesehen. Es sieht so aus, als wäre nicht nur ihr Vater hier Jagdaufseher gewesen, sondern vor ihm auch sein Vater. Und der, dein Ururgroßvater William Bennett, ist 1870 geboren. Ich habe keine Ahnung, was seine Eltern gearbeitet oder wo sie gelebt haben. Aber, und das ist der eigentlich interessante Teil, zwei oder drei Generationen vor ihm fand ich einen James Bennett, der die Tochter eines Arztes geheiratet hat. Hugh Brundall hieß dieser Arzt. Den Namen kennst du, oder?«
»Brundall war der Name ... von Anthony Wickhams Arzt.« Überrascht riss Jude die Augen auf. »Aber er hieß nicht Hugh, sondern irgendwie anders. Jonathan, glaube ich. Warte, es gab auch einen Hugh. Esther ist mit ihm in die Dorfschule gegangen. Willst du sagen, dass er mein soundsovielter Großvater ist?«
»Das habe ich mich jedenfalls gefragt. Aber lass mich mal weitermachen. Da stand auch der Name der Mutter des Mädchens, also Hugh Brundalls Ehefrau. Sie hieß Stella.«
Jude schaute Euan direkt in die Augen und schwieg schockiert, als sie versuchte zu begreifen. »Stella bedeutet Stern. Genau wie Esther. Oh, Euan! Das kann nur ein Zufall sein!«
»Möglich, vielleicht aber auch nicht. Am Mittwoch bin ich zu der Kirche in Starbrough gegangen und habe mir die Grabsteine angesehen. Und tatsächlich, da gab es einen Hugh Brundall, dessen Ehefrau Stella 1815 gestorben ist.«
»Natürlich! Ich habe den Stein auch gesehen, als ich über den Friedhof spaziert bin«, rief Jude. »Ich weiß nicht mehr genau, ich glaube, der Nachname war Brundall, aber an Stella kann ich mich sehr gut erinnern, weil ich nach ›Esther‹ gesucht habe. Oh, Euan, meinst du wirklich, dass es so weitergegangen ist mit ihr? Dass sie den Sohn des Arztes geheiratet hat?«
»Es könnte natürlich purer Zufall sein, aber es ist eine Spur, die man verfolgen sollte. Andere Hinweise haben wir nicht.«
»In den Kirchenbüchern könnten wir weitere Daten finden«, flüsterte sie, »Megan aus dem Museum hat gesagt, dass sie wahrscheinlich im Bezirksarchiv lagern. 1815 ist zu früh für amtliche Registraturen von Geburten, Todesfällen und Eheschließungen. Du meine Güte, wenn Esther 1815 gestorben ist, dann ist sie dreiundfünfzig geworden. Nicht besonders alt.«
»Stimmt. Die Register der Pfarrei Starbrough liegen tatsächlich im Bezirksarchiv. Ich habe mich bei einem Kirchenältesten erkundigt. Du kannst doch morgen hingehen, oder? Wenn du möchtest, begleite ich dich.«
»Oh, Euan, das wäre großartig, vielen Dank. Aber ... du hast gesagt, dass Stella in unserer Familienbibel eingetragen war. Das würde bedeuten, dass die Bennetts ihre Vorfahren waren. Dass Esther meine Ahnin ist.«
»Sieht so aus, oder?«
Jude schwieg eine Weile und versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen. »Und das würde heißen – o Gott! –, dass ich entfernt mit Lord Madingsfield verwandt bin! Was für eine grässliche Vorstellung!«
»Ich hab mir schon gedacht, dass du
Weitere Kostenlose Bücher