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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels
Autoren: Rachel Hore
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schützte eine Sammlung kleiner Gummistiefel in hellen Farben und Regenschirme in Spielzeuggröße. Eine Kiste voller Plastikautos, Roboter und Puppen mit grinsenden Gesichtern stand direkt im Blickfeld eines längst verblichenen Cäsaren. Als sie den wütenden Blick der Büste sah, hätte Jude am liebsten laut gelacht, befürchtete aber, dass ihr Gastgeber beleidigt reagieren könnte.
    »Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?«, fragte er.
    »Ich behalte sie lieber an.« Es war kühl. Muss am Marmor liegen, dachte sie. »Wie viele Kinder haben Sie?«
    »Drei Jahre alte Zwillinge«, erwiderte er, als könne er es selbst nicht ganz glauben. »Einen Jungen und ein Mädchen. Meine Frau ist mit den Kindern zu ihren Eltern nach Yorkshire gefahren. Wunderbar ruhig war es hier, das kann ich Ihnen sagen.« Diesmal bemerkte sie erleichtert, dass er verschmitzt zwinkerte. »Obwohl ich sie vermisse. Kommen Sie gleich hier entlang.« Er führte sie über einen langen Korridor an der linken Seite zu einem Zimmer, das vorn im Haus lag.
    »Oh, wie schön!«, rief Jude aus, als sie ganz unerwartet die zauberhafteste Bibliothek betrat, die sie jemals gesehen hatte. Der Raum wirkte beinahe oval, ein Effekt, der sich daraus ergab, dass die weiß gestrichenen Bücherschränke und Regale, die die Wände bedeckten, in zwei geschwungenen Kurven gebaut waren, von der Tür bis zum Fenster. Unter dem langen georgianischen Fensterflügel ruhte ein gewaltiger alter Globus, leicht geneigt, so als wollte er sich in die Umlaufbahn erheben. Daneben stand der Orrery, den Robert Wickham am Telefon erwähnt hatte, ein kugelförmiges Gebilde, das aus ineinander verzahnten hölzernen Reifen gefertigt war, die die verschiedenen Bahnen der Gestirne im Sonnensystem darstellen sollten. Jude trat näher, um sich die Planetenmaschine genauer anzusehen.
    »Prächtig, nicht wahr?«, sagte Robert und strich über den äußersten Ring. »Als Kind hat die Maschine mich immer ungemein fasziniert, nicht zuletzt, weil sie nicht alle Planeten darstellt, die wir heute kennen. Wann wurde der Uranus noch mal entdeckt?«
    »Ich glaube, von William Herschel zu Beginn der 1780er-Jahre«, sagte Jude und zählte die Planeten. Nur sechs, die Erde eingeschlossen. Er hatte recht. Der Uranus fehlte.
    »Ich habe ein schlechtes Gedächtnis für Daten«, sagte Robert lachend. »Alexia beschwert sich ständig darüber. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause, Jude. Ich sage meiner Mutter Bescheid, dass Sie hier sind. Ich nehme an, Sie möchten einen Kaffee?«
    »Kaffee wäre schön«, sagte sie. Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie nahm es ihm nicht übel. Er schien recht angenehm zu sein, so wie Gutsherren auf dem Lande nun einmal waren, ein bisschen forsch und nervös, aber sie hatte schon mit schlimmeren Leuten zu tun gehabt. Nach wenigen Sekunden hatte sie ihn vergessen, genoss stattdessen die friedvolle Düsternis des Raumes, den beruhigenden Duft nach Holz, Leder und alten Büchern und fand Gefallen an der empfindsamen Miene des jungen Mannes in der Kleidung des achtzehnten Jahrhunderts im Porträt über dem Kamin. Die ovale Form der Bibliothek vermittelte ihr ein seltsames Gefühl. Als ob man sich in einem großen Ei wiegt, dachte Jude, oder vielleicht auch im Bauch eines alten Schiffes. Rund um den Kamin waren ein paar robuste lederne Armsessel und ein Sofa gruppiert, die zu dem Flair männlicher Behaglichkeit beitrugen. Sie lehnte sich gegen einen Armsessel und sah hinauf zu der bemalten Decke. Es handelte sich um eine astrologische Karte des Nachthimmels. Das Firmament war in Mitternachtsblau gefärbt, mit Bildern der verschiedenen Sternbilder – Wassermann, Zwillinge, Krebs und die anderen – in Gold, Karminrot, Silber und Weiß. Es war atemberaubend schön.
    Jude stellte ihren Aktenkoffer neben dem großen Schreibtisch am Fenster ab und schaute hinaus über den kiesbedeckten Vorplatz auf den Rasen. Dahinter erstreckte sich eine unregelmäßig geschnittene Grasfläche, dann kamen Bäume und ein niedriger Steinwall, der an die Straße grenzte. In der Ferne erblickte sie bis zum Horizont nur Hecken und Felder. Sie fragte sich, wo das Cottage des Jagdaufsehers – das Häuschen, in dem ihre Großmutter gelebt hatte – lag und wo sich der Turm im Wald befand, von dem Gran erzählt hatte. Dicht stehende Bäume bedeckten einen flachen Hügel rechts vom Park. Irgendwo da oben könnte Starbrough Folly sein, überlegte sie, obwohl sie kein Gebäude sehen
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