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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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Lorenzo‹, habt Ihr ihm gesagt. Ich bin beeindruckt von Eurem selbstbewussten Auftreten. Stellt also Eure Frage an mich.«
    »Die Frage lautet: Wer bin ich?«
    Er bedachte mich mit einem erstaunt-amüsierten Blick, den er wohl der Sokrates-Büste neben dem Fenster abgeschaut hatte. »Eine interessante Frage, Madonna Caterina. Diese Frage haben sich schon Platon und Aristoteles gestellt.«
    »Ich kenne die Antworten der beiden Philosophen, Euer Exzellenz. Ich fragte jedoch nicht nach dem Ich , sondern nach dem Wer? «
    Lorenzo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete mich neugierig. »Welche Namen stehen denn zur Auswahl?«
    Die Stunde der Wahrheit! Ich holte tief Luft. »Vespucci ist der eine Name und …«
    »Dieser Name ist in diesem Haus lange nicht genannt worden«, unterbrach er mich unwillig. »Seid Ihr verwandt mit Piero und seinem Sohn Marco?« Das Lächeln war auf seinen Lippen erfroren.
    »Piero Vespucci war mein Großvater«, erklärte ich. »Marco ist mein Stiefvater.«
    »Piero Vespucci«, sagte er gedehnt, als müsste er sich nach Jahren erst wieder an den Klang des Namens gewöhnen. »Piero Vespucci war nach einer erfolglosen Verschwörung gegen Cosimo de’ Medici nach Neapel ausgewandert, wo er in den Diensten des Hauses Aragón Karriere gemacht hat. Aber getreu den Worten von Bernardo Cennini – ›Dem florentinischen Geist ist nichts unmöglich‹ – zog es ihn nach Florenz, um die Grenzen des Möglichen zu erforschen. Piero und sein Sohn Marco waren 1478 in die Verschwörung von Papst Sixtus und der Familie Pazzi gegen mich verwickelt: Sie halfen den Attentätern, die meinen Bruder Giuliano im Dom ermordet hatten, zu entkommen.«
    »Ihr hattet Piero Vespucci nach zwei Jahren im Kerker Euren Großmut bewiesen und ihn begnadigt, Euer Magnifizenz«, erinnerte ich ihn. »Und Marco ist trotz lebenslänglicher Verbannung aus Venedig zurückgekehrt …«
    Mit einer Geste wie ein Schwerthieb schnitt er mir das Wort ab. Offensichtlich hatte er keine Lust, mit mir über Schuld und Sühne der Familie Vespucci zu diskutieren. »Marco ist also Euer Stiefvater«, fasste er ungnädig zusammen. »Wer ist Eure Mutter, Signorina Vespucci?«
    Ohne ein Wort zu sagen, deutete ich auf Sandro Botticellis Geburt der Aphrodite an der Wand gegenüber seinem Schreibtisch.
    »Simonetta war …?«, fragte Lorenzo de’ Medici ungläubig.
    »… meine Mutter«, ergänzte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein! Simonetta starb im April 1476 an der Schwindsucht. Ich war in Pisa. Ich hatte ihr von dort aus meinen Arzt geschickt, als ich von ihrem Zusammenbruch erfuhr. Aber es war zu spät. Simonetta war tot, bevor der Medicus Florenz erreichte.« Sein Blick ruhte auf Botticellis Bild, als könnte er sich nach fünfzehn Jahren nicht mehr daran erinnern, wie seine geliebte Simonetta ausgesehen hatte.
    Er hatte sie geliebt! Ich musste ihn nur ansehen, um seine Liebe zu spüren und den Schmerz, den er bei ihrem Tod empfand. Ich konnte ihm die Wahrheit nicht ersparen, so sehr sie ihm wehtun würde. »Ja, es ist wahr: Simonetta starb an der Schwindsucht. Aber das ist eben nur ein Teil der Wahrheit. Sie starb während meiner Geburt.«
    Lorenzo de’ Medici starrte mich an. »Simonettas Tochter …«, flüsterte er fassungslos, die Hand an den Lippen. »Ich habe Simonetta geliebt. Als ich durch Piero Vespucci die Nachricht von ihrem Tod erhielt, habe ich die ganze Nacht geweint …«
    »Vier Sonette habt Ihr in dieser Nacht an Simonetta geschrieben«, erinnerte ich ihn. »Ich bewahre Eure Verse wie Reliquien. Sie sind das Einzige, was mir von meiner Mutter geblieben ist: Eure Worte, Gedanken und Gefühle. Sie schenkte mir ihr Leben und hauchte ihre Seele aus, als ich zum ersten Mal meine Augen öffnete. Ich weiß fast nichts von meiner Mutter. Bis ich vorhin das Gemälde sah, wusste ich nicht einmal, wie sie aussah. Wie schön sie war!«
    »Ihr seid Simonettas Tochter …«, wiederholte der Magnifico, als müsste er sich erst mit diesem unerwarteten – erschreckenden? – Gedanken vertraut machen. Sein Blick irrte von meinem Gesicht zur Geburt der Aphrodite hinter mir an der Wand. »Ihr habt dieselben Augen, dieselben Haare in der Farbe der untergehenden Sonne, dieselben sinnlichen Lippen. Ihr erinnert mich an Simonetta – und doch wieder nicht.«
    »Ich bin nicht Simonetta«, sagte ich. »Ich bin ich. Und ich will von Euch wissen: Wer bin ich?«
    »Vespucci ist der eine Name. Wie lautet der andere?«,
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