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Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman

Titel: Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit gewesen. Und selbst die turbulenten Zeiten als Wahlkampfmanager erschienen im Nachhinein als das reinste Zuckerschlecken.
    Mit jedem Tag wuchsen die Zweifel am Sinn seiner Tätigkeit. Stundenlange Beratungen im Ausschuss über kaum verständliche Papiere der EU sowie hitzige Gefechte über Formulierungen in Brüsseler Verordnungen, deren Sinnhaftigkeit sich Wagner in den seltensten Fällen erschloss, waren die Regel. Ganz abgesehen davon, dass die Einflussmöglichkeiten der Landtagsabgeordneten gleich null waren. 27 Mitgliedstaaten wollten in Brüssel mitmischen, und Niedersachsen war eines von 16 Bundesländern eines Mitgliedstaates, dessen Kanzler beratungsresistent war. Er scherte sich keinen Deut darum, was die Regierungschefs der Bundesländer wollten.
    Als Wagner den Sitzungsraum der Fraktion betrat, war er nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Nur etwa zwanzig der fünfzig Abgeordneten der Bürgerpartei hatten sich eingefunden. Die meisten hatten einen Zweitjob als Anwälte oder Verwaltungsratsmitglieder von Sparkassen und Kommunalbetrieben. Auch gut bezahlte Tätigkeiten in parteinahen Stiftungen erfreuten sich unter den Abgeordneten großer Beliebtheit.
    Weitab von den anderen, in der letzten Reihe, saß Thomas Stutz. Der Abgeordnete wurde von seinen Kollegen gemieden. Man machte ihn für das Wahldesaster der Bürgerpartei verantwortlich. Die Fußstapfen, die der Regierungschef Alfred Bitter nach seinem plötzlichen Ableben hinterlassen hatte, waren einige Nummern zu groß für ihn gewesen.
    Anders als der Technokrat Stutz hatte Albi es verstanden, die konkurrierenden Flügel der Partei unter einen Hut zu bringen. Sein ausgeklügeltes System des Gebens und Nehmens gab jedem Abgeordneten das wohlige Gefühl, im Spiel um Macht und lukrative Ämter nicht zu kurz zu kommen. Seine volkstümliche Art wurde insbesondere von der ländlichen Bevölkerung geschätzt und hatte der Partei viele Stimmen gebracht. Für Thomas Stutz hingegen war Politik keine Herzensangelegenheit. Er mied das Volk und verachtete Schützenfeste und andere Volksbelustigungen. Für den intellektuellen Politiker war die Partei eine Organisation, die nach den Regeln eines modernen Businessplans zu funktionieren hatte. Mandatsträger waren für ihn Ressourcen mit Kernkompetenzen und Schwachstellen, politische Abläufe betrachtete er als nichts anderes als Prozesse mit Optimierungspotenzial.
    Seine Nominierung als Ministerpräsident geschah aus der Not der Stunde heraus, wobei ihm sein forsches Auftreten und sein gutes Image bei den niedersächsischen Journalisten zugute kamen. Doch schon nach wenigen Wochen im Amt war das Murren über seine Amtsführung unüberhörbar. Seine einsamen Entscheidungen sorgten für Unmut unter den Mandatsträgern. Nach einem heftigen Streit verließen vier Abgeordnete die Regierungsfraktion der Bürgerpartei, die dadurch ihre Mehrheit einbüßte. Stutz verlor die Gunst der Medien, hämische Kommentare beschleunigten seinen Absturz und den der Bürgerpartei. Eine notwendig gewordene, vorgezogene Landtagswahl endete mit einem Fiasko für die bis dahin regierende Partei. Noch am Wahlabend legte Stutz auf Druck des Parteivorstandes den Vorsitz nieder. Vor allem Tobias Wächter war es, der seinen Sturz massiv vorangetrieben hatte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Stutz auch sein Landtagsmandat zurückgeben müssen. Der Mehrheit im Vorstand erschien das jedoch zu hart. Zumindest sein Abgeordnetengehalt sollte dem gescheiterten Politiker vorerst erhalten bleiben.
    Um Stutz’ Nachfolge entbrannte ein Machtkampf zwischen Tobias Wächter und der Celler Abgeordneten Marion Klaßen, aus dem Letztere für viele überraschend als Siegerin hervorging. Ihre jugendliche Frische, ihr attraktives Äußeres und ihre Kompetenz machten Eindruck auf die Medien, in der Fraktion selbst riefen sie mehr Neid als Zustimmung hervor. Dass sie dennoch die interne Abstimmung gewann, verdankte sie nicht nur der Frauenriege unter der Führung der Abgeordneten Peters. Es hieß, dass sie sich einige Stimmen mit Liebesdiensten erkauft hatte. Wagner traute es ihr zu, dass sie auch ihren Körper um der Karriere willen einzusetzen bereit war.
    Zu seinem Leidwesen verwickelte ihn die Abgeordnete Peters in ein Gespräch über Altersarmut von Frauen. Höflich nickend erweckte er den Anschein zuzuhören. Tatsächlich suchte er die Reihen nach Tobias Wächter ab. Merkwürdig, dass er nicht da war. Sie waren doch für
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