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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman
Autoren: Lenos Verlag
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persönlich glaube auch nicht an den grossen Unbekannten«, sagte er, verschluckte sich und wiederholte darum die zweite Satzhälfte, »den grossen Unbekannten.«

    Der Streit zwischen BKA-Chef Jens Brack und Staatssekretär Dexter Flimm war so heftig gewesen, dass ihn Innenminister Eisele in seinem Arbeitsraum hören musste. Eisele hatte noch etwas zu erledigen, und so wartete man in seinem Vorzimmer auf ihn.
    Plötzlich und ohne Vorwarnung griff Brack an. »Sie waren Teil eines politischen Komplotts, Flimm. Dafür habe ich zwar keine Beweise, aber genügend Hinweise. Sie gehören zu Cookie & Co, das steht für mich fest.«
    Flimm reagierte zuerst überhaupt nicht, was Zwicker erstaunte. Dann, nach ein paar Minuten, sagte er nur drei Sätze: »Herr Brack, der Innenminister hat Ihre Kompetenzen in diesen Tagen erheblich erweitert. Unter diesen Umständen wäre es für Sie persönlich sicher sehr bedauerlich, wenn die Behörde künftig von einem anderen Chef geleitet würde. Und schliesslich: Ihr Vorwurf beweist, dass Sie das Vertrauen des Innenministers schlicht nicht verdienen, das er Ihnen entgegenbringt.«
    Worauf Brack brüllte: »Mörder! Verdammte Mörderbande!«
    Als der Innenminister hereinkam, war es bedrückend still. »Die Mörder haben wir«, sagte er. »Aber auch die Drahtzieher und Mitläufer werden wir dingfest machen, meine Herren. Und wenn ich einen Rat geben dürfte: Mit etwas Gelassenheit lassen sich auch schwierigste Situationen leichter meistern.«

» K anzlerin, Sie sind eine ungewöhnliche Frau.«
    »Ach was, Kranich, was reden Sie da. Wenn, dann hat sich erwiesen, dass eher Sie ein ungewöhnlicher Mensch sind.«
    »Danke«, sagte Kranich.
    »Haben Sie einen Hund, Johannes?«
    »Leider nicht.«
    »Katze? Meerschweinchen? Kaninchen? Ein Aquarium?«
    »Auch das nicht.«
    »Schade«, sagte die Kanzlerin. »Menschen brauchen die Tiere. Bei unseren Mitmenschen sind wir immer auf der Hut. Wir sperren, wir verschliessen uns. Wir spielen uns etwas vor. Und wenn wir uns begegnen, dann sind wir schon sortiert. Und darum kann sich ein Mensch gegenüber einem anderen Menschen nur ganz ausnahmsweise als Kreatur begreifen. Die Menschen begegnen sich so abstrakt, als ob sie nicht zu dieser Tierwelt gehören würden, in der gebellt, miaut, gewinselt, gesungen wird … haben Sie wenigstens einen Vogel, Kranich?«
    »Auch keinen Vogel, Frau Kanzlerin.«
    »Jedenfalls … jetzt habe ich Ihretwegen den Faden verloren, Kranich. Haben Sie als Kind nie versucht, einer Schildkröte so lange ein Salatblatt vor die Öffnung im Panzer zu halten, bis sie ihren Hals herausstreckte und frass, und dann haben Sie ihre Hornhaut gestreichelt, und die Schildkröte hat ihren Hals ganz lang gemacht, weil es ihr so guttat, dass sie vielleicht sogar vergass, weiter am Salatblatt zu knabbern?«
    »Doch, das habe ich auch gemacht, als Kind.«
    »Und könnten Sie sich jemals um einen Menschen so bemühen, dass er aus seiner Reserve käme?«
    »Vielleicht, wenn ich verliebt wäre.«
    »Es ist so viel Liebe drin in den Menschen, Johannes. Aber sie können sie nicht zeigen. Im Gegensatz zu anderen Gefühlen: Hass, zum Beispiel. Ist das nicht seltsam?«
    »Vielleicht«, sagte er, »ist Hass ein Gefühl, das entsteht, wenn ein Mensch nicht lieben durfte. Oder wenn die Angst ihn daran hindert und die Liebe sich in ihm staut, ihn verformt, hässlich macht und schliesslich verdirbt.«
    »Wenn Menschen sich wie Tiere sehen würden, Johannes, dann würden sie sehr viel gefühlvoller miteinander umgehen. Die Menschen würden für sich sorgen, davon bin ich überzeugt.«
    Kranich schwieg, und plötzlich fuhr ihm die Kanzlerin mit den Fingern durchs Haar. »Johannes, mögen Sie Hunde?«
    Er nickte.
    »Dann sind Sie jetzt mein Hund, Johannes, und ich spüre Ihr Fell. Dick ist es nicht.«
    Kranich liess es geschehen. Es hatte nichts Verfängliches. Er spürte die Hand der Kanzlerin und streckte ihr seinen Kopf hin.
    »Du bist ein braves Tierchen, Johannes. Du kannst zwar nicht gehorchen, bist gefrässig, reisst aus und pisst an jede Ecke. Aber du bist eine treue Seele. Ich weiss nicht, ob du als Hund alles verstehen kannst, was ich dir sage. Aber ich glaube, das Wichtigste verstehst du. Ich passe auf dich auf, und du passt auf mich auf. Du bist ein gutes Tier.«
    Er hörte ihre Worte, und es war schön, dass sie so mit ihm sprach. Bis sie sagte: »Kranich, ich verspreche Ihnen, dass ich Sie nie in ein Tierheim geben werde.«
    »Danke.«
    »Jetzt
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