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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman
Autoren: Lenos Verlag
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Rücktritt, Kari, wäre das Eingestehen eines Fehlers, den ich nicht erkennen kann.«
    Und wieder schwieg Kari Fässler sehr lange, bevor er noch einmal tief durchatmete und sagte: »Diese armen Menschen. Ich werde den Anblick der Toten mein Leben lang nicht vergessen. Diese Ohnmacht. Und jetzt diese Hektik bei der Aufklärung des Verbrechens. Dieser Rummel. Dieses Getue, als ob es einen Preis geben könnte für diejenigen, die vielleicht ein paar der Täter fassen werden. Ich will mich nicht drücken vor meiner Verantwortung. Aber was ich gesehen habe, das hat mich zutiefst bewegt. Ich habe ein Leben lang Politik gemacht. Aber eine Welt, in der so etwas geschehen kann, ist nicht mehr meine Welt. Sollen Jüngere das verstehen. Ich kann das nicht. Ich trete aus menschlichen Gründen zurück, ein Akt der Solidarität mit den Opfern.«
    Fabio Coradi versuchte noch einmal, ihn umzustimmen: »Das wird niemand verstehen, Kari. Ich gelte bekanntlich auch eher als dünnhäutig. Und das Geschehen auf dem Säntis hat mich so mitgenommen wie dich. Aber wir sollten jetzt nichts überstürzen und zusammenhalten. Dein Rücktritt wäre das falsche Signal.«
    »Ich bleibe bei meinem Entscheid«, sagte Kari Fässler, »und es ist, wie gesagt, ein menschliches Signal. Und ich hoffe, dass es Menschen gibt, die das verstehen werden.«

    Rücktritt von Verteidigungsminister Kari Fässler ein Schuldeingeständnis? – St. Galler Terrorärztin verweigert weiterhin jede Aussage – Ex-BND-Agent in Berlin unter dringendem Tatverdacht verhaftet. Rache als Motiv? – Attentat hatte keinen islamistischen Hintergrund – Kannte die deutsche Regierung Anschlagspläne der Terrorgruppe Cookie & Co? – Fieberhafte Jagd auf Terroristin Clara – Gedenkfeiern für die Opfer des Terroranschlags auf der Säntisbahn in Bern und Berlin.

D ie Regierungen der Schweiz und Deutschlands hatten sich darauf verständigt, in Bern und Berlin gleichzeitig der Toten des Terroranschlags zu gedenken und so ein Zeichen zu setzen für eine Trauer, die grenzenlos war. Auf Wunsch der Kanzlerin wurde in der Heiliggeistkirche in Bern und der St.-Thomas-Kirche in Berlin das Requiem in d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart gespielt, seine letzte Komposition. 3000 Menschen strömten in der deutschen Hauptstadt in den grössten Sakralbau der Metropole, und auch die 2000 Sitzplätze in der Berner Heiliggeistkirche waren alle besetzt.
    Für Innenminister Eisele, der in der St.-Thomas-Kirche rechts neben der Kanzlerin sass – Vizekanzler Schiller hatte ihm diesen Platz bescheidenerweise überlassen und sich an die Seite des Bundespräsidenten gesetzt –, war es ein Rätsel, warum die Kanzlerin auf Mozart bestanden hatte, obwohl Mozart aufgrund gesicherter Erkenntnisse zu ebenjenen Terroristen gehört hatte, deren Opfer man gedachte.
    »Weil er mich gewarnt hat«, hatte die Kanzlerin gesagt. »Und das bedeutet, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Und das heisst, dass er ein Gewissen hatte. Er hat mich gewarnt und wurde von seinen Komplizen deshalb ermordet. Er war ein Verbrecher, aber er hatte ein Gewissen.« Als Eisele das nicht gelten lassen wollte, antwortete ihm die Kanzlerin: »Mozart macht den Tod nicht leichter.Aber ich mag keine Trauermärsche. Man marschiert nicht in den Tod.«
    Sie konnte es nicht lassen. So bewegt und aufgewühlt sie auch war: Die Kanzlerin hatte ein loses Mundwerk, und Eisele war nie sicher, ob sie bewusst Nadelstiche setzte oder manchmal selbst erstaunt war, wenn jemand zusammenzuckte, den sie pikste.
    »Im Übrigen«, sagte sie, »Mozart ist nicht nur jung gestorben, er hat über den Tod nachgedacht. Ernsthaft, aber mit einer Leichtigkeit, die ich sehr schätze. Er hat gesagt: Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht alleine nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! «
    Eisele schwieg, und die Kanzlerin zitierte weiter: »Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht, so jung als ich bin, den anderen Tag nicht mehr sein werde.« Dann weinte sie. »Wir alle wollten den neuen Tag erleben. Und ich habe bedacht, was Mozart sagte, und hatte dazu sogar konkreten Anlass, Benedikt.«
    Eisele spürte, dass die Kanzlerin noch etwas bedrückte. »Xenia, ich glaube, du hast noch eine Frage.«
    »Was haben die Ermittlungen gegen
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