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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin
Autoren: Douglas Clegg
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Katastrophen. Eine Ära des frühen Winters senkte sich herab und überzog Seen mit Eis und Frost, der die Baumwurzeln nicht loslassen wollte, bis der kurze Sommer begann.
    Die Erde war ausgehöhlt, die Bergwerke ausgeplündert worden. Wo einst das einfache Schloss eines Barons von hohem Range auf einem flachen Hang gestanden hatte, der von
anderen Hügeln, Feldern, einem Dorf und der Abtei umgeben gewesen war, erhoben sich nun eine ummauerte Stadt und sieben weiße Türme wie die nach oben gewendeten Fänge eines riesigen Wolfes. Taranis-Hir wurde sie genannt – dies erfuhr ich allerdings erst später. Es war ein uralter Name für die Hänge, auf denen die Stadt erbaut worden war. Bei dem Hügel handelte es sich um den Grabhügel einer vor langer Zeit verstorbenen Königin des Landes, deren Ruf zur Zeit meiner Geburt fast in Vergessenheit geraten war. Ihr Grabhügel und die dazugehörigen Kammern umfassten drei niedrige Hügel, die von den Steinbrucharbeitern und Hauern gegraben worden waren. Ihre Schätze, die sich in den zahlreichen Kammern der Totenstadt unter dem alten Schloss befunden hatten, waren geplündert worden. Die Steinbrüche im Süden wurden zu Bergwerken. Diejenigen im Norden wurden unter den Akkaditenklippen begraben. Die Höhlen darunter waren geöffnet und für diese neue Zitadelle nutzbar gemacht worden. Ein großer Teil des Landes wurde nämlich von diesen unterirdischen Höhlen durchzogen, die von verborgenen Wasserläufen innerhalb jenes Ringes gegraben worden waren, der das einschloss, was einst mein Dorf gewesen war. Weißer Caelumstein war aus den Verbindungsgängen der Hügelgräber heraufgeholt und von Handwerkern bearbeitet worden, bis er so glänzend wirkte wie ein milchiger Kristall – einige sagten sogar, dass er wie Eis aussähe. Silber und Eisen waren in der Gegend abgebaut worden, wodurch dort eine Ödnis entstand, wo zuvor der Wald eher wild gewachsen war. Diese Metalle wurden zu einem wichtigen Handelsgut, während die Gießereien Leute anzogen, die auf dem Feld und in den Wäldern gearbeitet und während der Plagen alles verloren hatten.

    Taranis-Hir ähnelte keiner anderen Festung oder Stadt in der Christenheit. Ihre weißen Mauern schimmerten durch den einheimischen Caelumstein, und ihre zugespitzten Türme beherrschten den Horizont aller Aussichtspunkte des Waldes und der ihn umgebenden Klippen. Der Rauch aus ihrer Gießerei und ihren Schmelzöfen erfüllte die Luft mit schwarzen Schwaden. Es war eine Stadt der Pilger und Landstreicher, Händler und Soldaten, Alchimisten und Priester, ebenso aber auch der Gießereiarbeiter, die die transmutierenden – sich verwandelnden – Metalle des Alchimisten aus dem Osten bearbeiteten. Und dann waren da auch noch die Architekten dieser Stadt: mit ihren verwirrenden Wissenschaften und vielfältigen Berechnungen. Hier lebten zudem die vernarbten Bettlerinnen und Bettler, die die Schmelzöfen und die Gießerei reinigten und wegen ihres Aussehens Aschlinge genannt wurden.
    Einige glaubten, dass die Schmelzöfen, die die ganze Zeit über in den weißen Türmen brannten, das Höllentor selbst darstellten – aber es handelte sich um die Akkaditen auf den weit entfernten Klippen des Landes. Nur wenige von ihnen betraten je die ummauerte Stadt, welche nach den sechs Plagen entstanden war, denn viele waren bereits für eine solche Reise mit dem Schwert oder auf dem Scheiterhaufen getötet worden. Jene Akkaditen – oder jeder Verräter, Ketzer oder Feind aus dem Ausland -, die die ummauerte Stadt tatsächlich betraten, waren – falls sie noch lebten – in den Grabhügeltiefen zu finden, wo sie auf den Richtblock oder die Illuminationsnächte warteten; oder in den hängenden Käfigen, die entlang den Außenmauem aufgereiht waren, über den Kanälen, wo sie sich langsam zu Tode hungerten, während der Winter hereinbrach.

    Diese Visionen überkamen mich, da ich einst vom Schleier berührt worden war. Durch ihn sah ich mehr, als ich wollte, während ich mit meinem Gefährten in unserem runden unterirdischen Gefängnis lag.
    Ich erblickte die Fremde, die zu uns kommen würde, auch wenn ich ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Ich wusste nicht, ob es ihre Absicht war, uns zu zerstören oder zu befreien.
     
    Es war das elfte Jahr meiner Gefangenschaft. In meinen Visionen sah ich zum ersten Mal seit Jahren Tageslicht. Selbst vor meinem geistigen Auge blendete mich dieses grelle Licht beinahe und wurde doch durch die Schatten abgeschwächt, die in
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