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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes
Autoren: Willis Connie
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haben dort nichts zu suchen.«
    Kivrin hatte aufgeblickt, den Bleistift schreibbereit über dem Papier. »Wohin sollte ich gehen, um Tote zu sehen?« hatte sie ernsthaft gefragt. »In der Leichenhalle? Oder sollte ich Dr. Ahrens im Krankenhaus fragen?«
    »Ich sagte ihr, sie dürfe nicht gehen«, sagte Dunworthy, noch immer durch die Glasscheibe ins Leere starrend, »aber sie wollte nicht auf mich hören.«
    »Ich weiß«, sagte Mary. »Auf mich auch nicht.«
    Dunworthy setzte sich mit steifen Bewegungen neben sie. Der Regen und all das Hin und Her, um Basingame zu erreichen, hatten seine Arthritis verschlimmert. Er hatte seinen Mantel noch an. Jetzt zog er ihn aus und wickelte den Schal von seinem Hals.
    »Ich wollte ihr die Nase kauterisieren«, sagte Mary. »Ich machte ihr klar, daß die Gerüche des 14. Jahrhunderts wirklich unerträglich sein können, daß wir in unserer Zeit einfach nicht den Gestank von Exkrementen und verdorbenem Fleisch und Fäulnis gewohnt sind. Ich warnte sie, daß ihre Funktionsfähigkeit ernstlich durch Übelkeit beeinträchtigt sein würde.«
    »Aber sie wollte nicht hören«, sagte Dunworthy.
    »Nein.«
    »Ich versuchte ihr zu erklären, daß das Mittelalter gefährlich sei, und daß Gilchrist keine ausreichenden Vorsichtsmaßnahmen treffe, und sie sagte mir, ich machte mir unnötige Sorgen.«
    »Vielleicht tun wir es«, sagte Mary. »Schließlich wird das Absetzen von Badri geleitet, nicht von Gilchrist, und Sie sagten, er würde das Unternehmen abbrechen, wenn irgendwelche Probleme auftauchten.«
    »Ja«, sagte er und beobachtete Badri durch die Trennscheibe. Er tippte wieder in die Tastatur, den Blick auf dem Bildschirm. Badri war der beste Techniker nicht nur Balliols, sondern der Universität. Und er hatte Dutzende von Absetzoperationen über die Ferndistanz durchgeführt.
    »Und Kivrin ist gut vorbereitet. Sie haben ihr alles Wissenswerte beigebracht, und ich habe den letzten Monat im Krankenhaus damit verbracht, sie körperlich vorzubereiten. Sie ist geschützt gegen Cholera und Typhus und alles andere, was um 1320 vorhanden war, was übrigens auf die Pest, die Ihnen solche Sorgen bereitet, nicht zutrifft. In England gab es keine Fälle, bis der Schwarze Tod 1348 das Land erreichte. Ich habe ihr den Blinddarm entfernt und ihr Immunsystem gekräftigt. Ich habe ihr Breitband-Antivirale gegeben und einen Kurzlehrgang in mittelalterlicher Medizin veranstaltet. Und sie hat selbst eine Menge Arbeit geleistet. Während sie im Krankenhaus war, studierte sie Heilkräuter.«
    »Ich weiß«, sagte Dunworthy. Die letzten Weihnachtsferien hatte sie damit verbracht, sich lateinische Messen einzuprägen und weben und sticken zu lernen, und er hatte ihr alles beigebracht, was ihm in den Sinn gekommen war. Aber war es genug, um sie vor einem durchgehenden Pferd zu schützen, oder vor Vergewaltigung durch einen betrunkenen Ritter auf dem Heimweg von den Kreuzzügen? Um 1320 hatte man Menschen wegen vergleichsweise geringfügiger Delikte auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Es gab keine Impfung, die sie dagegen schützte, oder verhinderte, daß jemand sie durchkommen sah und sie für eine Hexe hielt.
    Er blickte wieder durch die Glasscheibe. Latimer hob die Reisekiste zum dritten Mal auf und stellte sie wieder ab. Montoya sah wieder auf ihre Uhr. Der Techniker drückte die Tasten und runzelte die Stirn.
    »Ich hätte mich weigern sollen, sie zu unterweisen«, sagte er. »Ich tat es nur, um Gilchrist als den Unfähigen bloßzustellen, der er ist.«
    »Unsinn«, sagte Mary. »Sie taten es Kivrin zuliebe. Sie finden sich selbst in ihr wieder – intelligent, findig, entschlossen.«
    »Ich war nie so leichtsinnig.«
    »Natürlich waren Sie es. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als Sie es nicht erwarten konnten, die Luftangriffe auf London 1940 mitzuerleben und sich Bomben auf den Kopf fallen zu lassen. Und ich scheine mich an einen gewissen Vorfall zu erinnern, der die alte Bodleian-Bibliothek betraf…«
    Die Tür zum Vorbereitungsraum flog auf, und Kivrin und Gilchrist kamen herein. Kivrin raffte ihre langen Röcke, als sie über die herumgesteuerten Kisten und Körbe stieg. Sie trug den mit weißem Kaninchenfell gefütterten Umhang und den hellblauen Kittel, den sie ihm gestern gezeigt hatte. Sie hatte ihm erzählt, der Umhang sei handgewebt. Er sah aus wie eine alte Wolldecke, die jemand ihr um die Schultern gelegt hatte, und die Ärmel des Kittels waren zu lang. Sie bedeckten beinahe ihre Hände.
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