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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes
Autoren: Willis Connie
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einen erfahrenen Historiker absetzen.«
    »Es ist nicht gefährlicher als das 20. Jahrhundert«, sagte Kivrin. »Senfgas und Bombenteppiche und Autounfälle. Wenigstens wird niemand eine Bombe auf mich fallen lassen. Und wer ist ein erfahrener Historiker für das Mittelalter? Niemand hat praktische Erfahrungen an Ort und Stelle gesammelt, und Ihre auf das 20. Jahrhundert spezialisierten Historiker hier im Balliol College wissen überhaupt nichts vom Mittelalter. Niemand weiß etwas. Es gibt kaum verläßliche Aufzeichnungen außer Kirchenbüchern und Steuerlisten, und kein Mensch weiß wirklich, wie das Leben der Menschen war. Darum möchte ich gehen. Ich möchte in Erfahrung bringen, wie sie waren und wie sie lebten. Wollen Sie mir nicht bitte dabei helfen?«
    Schließlich sagte er: »Ich fürchte, Sie werden mit dem Fachbereich Mittelalter darüber sprechen müssen«, aber es war zu spät.
    »Das habe ich bereits getan«, sagte sie. »Dort wissen sie auch nichts über das Mittelalter. Ich meine, nichts Praktisches. Mr. Latimer lehrt mich Mittelenglisch, aber das ist nichts als pronominale Beugungen und Lautverschiebungen. Er hat mir nicht beigebracht, etwas zu sagen. Aber ich muß die Sprache und die Gebräuche wissen«, sagte sie und beugte sich über Dunworthys Schreibtisch. »Ich muß über das Geld und die Tischsitten und so weiter Bescheid wissen. Wußten Sie, daß sie keine Teller verwendeten? Sie hatten flache Brotfladen, die Manchets genannt wurden, und wenn sie das Fleisch davon gegessen hatten, brachen sie sie in Stücke und aßen sie. Ich brauche jemanden, der mir solche Dinge beibringt, damit ich keine Fehler mache.«
    »Ich bin als Historiker auf das 20. Jahrhundert spezialisiert, kein Mediävist. Ich habe mich seit vierzig Jahren nicht intensiv mit dem Mittelalter beschäftigt.«
    »Aber Sie kennen die Dinge, die ich wissen muß. Wenn Sie mir bloß sagen, welche es sind, kann ich sie nachschlagen und lernen.«
    »Was ist mit Gilchrist?« fragte er, obwohl er Gilchrist für einen wichtigtuerischen Hanswurst hielt.
    »Er arbeitet an der Neueinstufung und hat keine Zeit.«
    Was nützt die Neueinstufung, wenn er keine Historiker hat, die er aussenden kann? dachte Dunworthy. »Und die amerikanische Gastprofessorin, Montoya? Sie arbeitet draußen in der Nähe von Witney an einer mittelalterlichen Ausgrabung, nicht? Sie sollte etwas über die Sitten und Bräuche wissen.«
    »Mrs. Montoya hat auch keine Zeit; sie ist ganz von dem Versuch in Anspruch genommen, Leute für die Ausgrabung in Skendgate zu gewinnen. Die sind alle nutzlos, verstehen Sie? Sie sind der einzige, der mir helfen kann.«
    Er hätte sagen sollen: »Nichtsdestoweniger sind sie Mitglieder der Fakultät von Brasenose, und ich bin es nicht«, doch statt dessen hatte er sein boshaftes Vergnügen gehabt, von ihr zu hören, was er schon lange gedacht hatte: daß Latimer ein tatteriger alter Mann war, und Montoya eine verhinderte Archäologin, und daß Gilchrist unfähig war, Historiker auszubilden. Er hatte sie gebrauchen wollen, um denen von Brasenose zu zeigen, wie man es machte.
    »Wir werden Sie mit einem Implantdolmetscher ausrüsten«, hatte er gesagt. »Und ich möchte, daß Sie zusätzlich zu Mr. Latimers Mittelenglisch Kirchenlatein, normannisches Französisch und Mittelhochdeutsch lernen«, und sie hatte sofort einen Bleistift und ein Übungsheft aus der Tasche gezogen und angefangen, eine Liste zu machen.
    »Sie werden praktische Erfahrung in der Landwirtschaft brauchen – Kühe und Ziegen mit der Hand melken, Eier sammeln, Gemüse anbauen«, sagte er und zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Ihr Haar ist nicht lang genug. Sie werden Cortixidil nehmen müssen. Und sehen Sie zu, daß Sie spinnen lernen, mit einer Handspindel, nicht mit einem Spinnrad. Das Spinnrad war noch nicht erfunden. Und Sie werden reiten lernen müssen.«
    Endlich zur Besinnung gekommen, hatte er sich unterbrochen. »Wissen Sie, was Sie lernen müssen?« hatte er gesagt und beobachtet, wie sie ernst über die Liste gebeugt saß, die sie zusammenstellte, die Zöpfe über die Schulter baumelnd. »Wie man offene Stellen und infizierte Wunden behandelt, wie man ein totes Kind für die Beerdigung vorbereitet, wie man ein Grab aushebt. Die Sterblichkeitsrate wird immer noch eine Zehn verdienen, selbst wenn es Gilchrist irgendwie gelingen sollte, die Einstufung zu ändern. Um 1300 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei achtunddreißig Jahren. Sie
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