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Die Jagd nach dem Vampir

Titel: Die Jagd nach dem Vampir
Autoren: Nancy Atherton
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zum ersten Mal, wie zwei so grundverschiedene Persönlichkeiten wie wir miteinander auskommen konnten. Emma war bedacht und zurückhaltend, ich intuitiv und hitzig. Ihre reservierte Haltung in Herzensangelegenheiten war mir so fremd wie ihr meine leidenschaftliche. Aber das alles schien nie eine Rolle zu spielen. Wir waren ein typisches Beispiel der Gegensätze, die sich anziehen.
    »Natürlich geht es uns etwas an«, protestierte ich. »Kit ist einer unserer engsten Freunde. Wenn er Nell nicht heiratet, wird er für den Rest seines Lebens unglücklich sein, und das können wir nicht zulassen.« Ich schlug mit der Faust auf den Küchentisch, dass die Teetassen wackelten. »Es liegt bei uns, ob er die richtige Entscheidung trifft.«
    »Nein, Lori, das liegt nicht bei uns«, sagte Emma ungerührt. »Das liegt bei ihm.«
    Ich wollte sie gerade der emotionalen Kälte, Feigheit und schändlichen Rationalität bezichtigen – alles ganz freundlich –, als das Telefon klingelte. Ich warf Emma einen verächtlichen Blick zu und stand auf, vergaß jedoch alles um mich herum beim Klang der furchterregenden Stimme aus dem Telefonhörer.
    »Ja«, murmelte ich. »Ja, ich verstehe … Morgen Vormittag um zehn? … Ja, wir kommen beide. Auf Wiedersehen.«
    Als ich auflegte, zitterte meine Hand, aber als mein Blick auf das gerahmte Foto an der Küchenwand fiel, ließ mich mein mütterlicher Instinkt die Ruhe zurückgewinnen. Das Foto zeigte meine Söhne.
    Will und Rob waren eineiige Zwillinge mit den dunkelbraunen, samtenen Augen ihres Vaters und seiner sanften Natur. Wenn sie nach ihrem Alter gefragt wurden, antworteten sie stolz: »Fünfeinhalb – fast sechs!« Dabei waren sie groß und kräftig, sodass die meisten Menschen sie für älter hielten. Für mich waren sie hingegen noch immer Kleinkinder, viel zu jung, um den Gefahren der kalten, mitleidlosen Welt außerhalb des Cottages entgegenzutreten.
    Wir hätten sie nie in die Schule schicken sollen, dachte ich verbittert und betrachtete mein stirnrunzelndes Ebenbild im Glas des Fotorahmens. Wir hätten sie zu Hause unterrichten sollen.
    Zuhause war ein honigfarbenes steinernes Cottage in der Nähe des kleinen Dorfes Finch in den Cotswolds, einer Gegend mit sanften Hügeln und buntscheckigen Feldern in Englands West Midlands. Auch wenn Bill und ich Amerikaner waren, so lebten wir doch lange genug in England, um uns als Ehren-Eingeborene zu fühlen. Von seinem Hightech-Büro in Finch leitete Bill die Geschicke der gediegenen Anwaltskanzlei seiner Familie, und ich spielte eine aktive Rolle in dörflichen Angelegenheiten. Wir waren beide überzeugt davon, dass es keinen besseren Ort gab, um unsere Kinder großzuziehen. Finch war klein, sicher und familiär. Ich fragte mich, wie wir auf den Gedanken hatten kommen können, die Zwillinge fortzuschicken, aber ich wusste genau, wie wir unseren Fehler wiedergutmachen konnten.
    »Lori?« Emma sah mich besorgt an. »Was gibt es?«
    Ich fuhr mit den Fingerspitzen über das Foto, bevor ich mich wieder an den Küchentisch setzte. »Es geht um die Zwillinge«, sagte ich düster. »Bill und ich werden sie von der Morningside nehmen müssen.«
    Emma nahm die Neuigkeit ziemlich ungerührt hin. Sie trank einen Schluck Tee und fragte: »Warum werdet ihr die Jungs von der Morningside nehmen müssen?«
    »Weil ich es nicht zulassen kann, dass meine Söhne eine Schule besuchen, die von dieser … unheimlichen Frau geleitet wird.«
    »Miss Archer ist nicht unheimlich«, meinte Emma.
    »Oh doch«, beharrte ich. »Die bleiche Haut, das glatte rote Haar, die Art, wie sie einen über die Lesebrille hinweg anstarrt … sie sieht aus, als würde sie jeden Morgen aus ihrem Sarg steigen und sich auf die Suche nach frischem Blut machen. Um es zu trinken! Oh ja, sie ist unheimlich!«
    Emma biss ein Stückchen Makrone ab. »Verrate mir eines, Lori. Wieso habt ihr eure Söhne eigentlich bei einer Schule angemeldet, die von einer unheimlichen, Angst einflößenden Frau geleitet wird, die in einem Sarg schläft und Blut trinkt?«
    »Weil wir getäuscht wurden«, entgegnete ich unbeirrt. »Wir haben uns derart von Morningsides freundlichen Lehrern und hellen Klassenzimmern beeindrucken lassen, dass wir der unheimlichen Direktorin nicht genug Beachtung geschenkt haben.« Nervös trommelte ich mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ich wette, sie stammt aus Transsylvanien.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Emma trocken. »Penelope Elizabeth Archer ist eindeutig ein
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