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Die Jagd nach dem Vampir

Titel: Die Jagd nach dem Vampir
Autoren: Nancy Atherton
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erreichen.«
    »Okay«, sagte ich und versuchte, meinen Blick vom Mülleimer abzuwenden.
    Bill nahm mich in die Arme. »Kommst du ins Bett?«
    »Ich bleibe noch ein Weilchen auf.« Ich legte meine Wange an seine Brust. »Ich muss noch meine Notizen für das nächste Treffen des Guy-Fawkes-Komitees durchsehen. Peggy Taxman leitet diesmal die Sitzung, und da möchte ich vorbereitet sein.«
    »Oh ja, das solltest du«, meinte Bill mit einem leichten Schaudern. Peggy Taxman gehörte zu den furchteinflößendsten Persönlichkeiten Finchs. Auf Bill hatte sie die gleiche Wirkung wie Miss Archer auf mich. »Peggy wird dir den Kopf abreißen, wenn du deine Hausaufgaben nicht machst.« Er trat einen Schritt zurück und sah mich an. »Und keine Sorgen mehr wegen Rendor?«
    »Keine Sorgen mehr wegen Rendor«, versprach ich und schob ihn sanft in den Flur. »Geh schlafen, Bill. Wenn du morgen nicht im Berufsverkehr nach London stecken willst, musst du früh los.«
    »Allzu wahr. Gute Nacht, Liebes.«
    Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und ging nach oben, dicht gefolgt von einem frohgemuten Stanley. Ich lauschte, bis ich hörte, dass die Schlafzimmertür zuging, und rettete schleunigst Wills Zeichnung aus dem Mülleimer.
    »Ich mache mir keine Sorgen wegen Rendor, Bill«, murmelte ich. »Ich sorge mich wegen etwas weitaus Schlimmerem.«
    Das zerknitterte Blatt glättete ich auf der Arbeitsfläche und machte mich damit auf den Weg zum Arbeitszimmer. Ich hatte meinen Mann nicht belogen, sagte ich mir, ich würde meine Notizen zum Guy-Fawkes-Tag durchsehen – allerdings erst morgen. Heute Abend hatte ich etwas Wichtigeres vor.
    Ich musste mit Tante Dimity sprechen.

4
    TANTE DIMITY HATTE stets ein offenes Ohr für meine Probleme, was einigen Menschen seltsam erscheinen könnte, da ich Dimitys Ohr noch nie gesehen hatte, was ebenso für alle anderen ihrer Körperteile galt. Auch wenn sie immer da war, wenn ich sie brauchte, konnte man sie dennoch nicht im strengen Sinne als anwesend bezeichnen. Und meine Tante war sie auch nicht wirklich.
    Tante Dimity war eine Engländerin namens Dimity Westwood. Sie und meine verstorbene Mutter hatten sich in London kennengelernt, wo sie während des Zweiten Weltkriegs ihren Ländern gedient hatten. Nachdem der Krieg vorüber war und meine Mutter in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, hielten die beiden Freundinnen engen Briefkontakt. Hunderte von Briefen wurden über den Atlantik hinweg ausgetauscht, und die Freundschaft der beiden wurde noch inniger, als sie in London gewesen war, als beide im Dienste der alliierten Raketenabwehr tätig waren.
    Meine Mutter hatte es nach dem Krieg nicht leicht gehabt. Nach dem frühen Tod meines Vaters musste sie mich allein großziehen, während sie einem Vollzeitjob als unterbezahlte und überlastete Lehrerin nachging. Es mag Tage gegeben haben, an denen sie wahrscheinlich am liebsten mit einem Zirkus durchgebrannt wäre, aber sie ließ es mich nie spüren. Wann immer sie genug hatte von ihrem mickrigen Gehaltsscheck, ihren überfüllten Klassen oder ihrer aufmüpfigen Tochter, fand sie in Dimity eine Stütze.
    Der Briefwechsel, den meine Mutter mit ihrer alten Freundin pflegte, wurde zu einem Refugium für sie, eine private Rückzugsmöglichkeit, die sie ihren Sinn für Humor neu entdecken ließ und durch die sie so etwas wie Frieden fand. Diesen Zufluchtsort hielt sie geheim, selbst vor ihrem eigenen Kind. Als ich größer wurde, kannte ich Dimity Westwood nur als Tante Dimity, unantastbare Heldin der Gutenachtgeschichten, die meine Mutter für mich erfand. Erst nachdem sowohl meine Mutter als auch Dimity gestorben waren, erfuhr ich, dass Dimity wirklich existiert hatte.
    Nach ihrem Tod hinterließ mir die unbekannte Tante ein beträchtliches Vermögen, das honigfarbene Cottage in England, in dem sie aufgewachsen war, die Bündel von Briefen, die sie und meine Mutter einander geschrieben hatten, sowie ein bemerkenswertes, in blaues Leder gebundenes Notizbuch.
    Durch dieses blaue Notizbuch trat ich in Kontakt mit Dimity Westwood. Wann immer ich mit den leeren Seiten sprach, erschienen ihre Zeilen dort, verfasst in einer altmodischen Handschrift, wie man sie in Dorfschulen gelernt hatte, als es noch Preise für Schönschrift gab. Wenn ich Miss Archer davon erzählt hätte, dass ich in der Lage war, mit einer Toten zu kommunizieren, hätte sie wahrscheinlich umgehend die Schulpsychologin eingeschaltet, aber daran hätte ich nicht im Traum gedacht.
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