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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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und den Verkehr regeln, sind die Ersten, die aus der Tür Richtung Lehrerzimmer stürzen.
    Zurück in unserem Klassenzimmer loggen sich alle hysterisch ein, lange Nägel tippen auf Glasbildschirme. Ich ziehe meine Show ab, täusche Kopfzucken und Sabbern vor. Ganz oben in meinem Posteingang leuchtet in dunkelroten Großbuchstaben die Lotterie-Mail:
    Betreff: IHRE HEPRA - JAGD - LOTTERIEZAHLEN
    Und das sind sie: 3 16 72 87.
    Sie sind mir scheißegal.
    Alle plärren ihre Zahlen durch den Raum. Schnell haben wir kapiert, dass die erste Ziffer eine Zahl zwischen 1 und 9 ist; die übrigen sind eine Zahl zwischen 0 und 99. Eine sinnlose Erhebung zu unserer ersten Zahl wird an die Tafel gemalt:

    Rasch werden irrationale Theorien entwickelt. Aus welchen Gründen auch immer wird die 4, die in unserem Klassenraum am häufigsten vorkommt, als Zahl mit den größten Chancen gesehen, als Erste gezogen zu werden. Die 3 mit nur einem Treffer – ich – wird dagegen schnell als chancenlos abgetan.
    Von mir aus gerne.
    Als ich zu Hause ankommen, ist es noch dunkel, aber ein Streifen Grau verunziert den Horizont. In einer Stunde wird die Sonne über die Berge im Osten steigen. Eine Sirene wird ertönen; danach hat jeder, der sich im Freien aufhält, noch fünf Minuten Zeit, einen Schutzraum zu finden, bevor die Lichtstrahlen tödlich werden. Aber zu diesem Zeitpunkt ist nur noch selten jemand draußen. Angst sorgt dafür, dass die Straßen leer und die Fenster verrammelt sind, wenn die Sonne aufgeht.
    Als ich den Schlüssel ins Schloss schiebe, spüre ich plötzlich, dass irgendwas nicht stimmt. Ein Geruch? Ich kann es nicht genau sagen. Ich lasse den Blick über die Auffahrt und die Straßen schweifen. Bis auf ein paar eilige Pferdekutschen auf dem Heimweg ist niemand draußen. Ich schnuppere und frage mich, ob ich mir das Ganze nur eingebildet habe.
    Nein, irgendjemand war hier. Kurz bevor ich gekommen bin.
    Ich lebe allein. Nie habe ich einen Gast zu mir nach Hause eingeladen. Abgesehen von mir hat noch nie jemand vor dieser Tür gestanden. Bis heute.
    Vorsichtig gehe ich ums Haus. Alles scheint unberührt. Auch der unter den Bodendielen im Flur versteckte, langsam kleiner werdende Vorrat an Bargeld, den mein Vater mir hinterlassen hat, ist noch da.
    Ich schließe die Tür und stehe lauschend in meinem dunklen Haus. Hier ist niemand. Wer immer da draußen gestanden hat, ist nicht hereingekommen. Erst jetzt zünde ich die Kerzen an. Farben treten hervor.
    Dies ist meine liebste Tageszeit. Ich fühle mich wie ein Gefangener, der seine ersten Schritte in Freiheit macht, oder ein Taucher, der aus den Tiefen eines sagenhaften Meeres aufsteigt und gierig nach Luft schnappt.
    Dies ist der Moment, in dem ich nach den endlosen grauschwarzen Stunden der Nacht wieder Farben sehen kann. Im flackernden Licht der Kerze explodieren sie zum Leben und überfluten das Zimmer mit geschmolzenen Regenbögen.
    Ich schiebe das Abendessen in die Mikrowelle. Ich muss es zwanzigmal kochen, weil der Timer nur bis maximal fünfzehn Sekunden geht. Heiß und leicht verbrannt mag ich es am liebsten, nicht diesen lauwarmen matschigen Brei, den ich draußen essen muss. Ich nehme meine Reißzähne heraus und stecke sie in die Tasche. Dann beiße ich in den Hamburger und spüre wohlig die Hitze an meinen Zähnen und das feste Gefühl verkohlter Knusprigkeit. Mit geschlossenen Augen genieße ich den Geschmack.
    Und schäme mich, fühle mich schmutzig.
    Nach dem Duschen – Duschen ist, wenn man sich mit Handsterilisationsmittel den Körper einreibt und mit Wasser abspült, um den Geruch loszuwerden – lege ich mich aufs Sofa, den Kopf auf einen Stapel gefalteter Sweatshirts gebettet. Die brennende Kerze wirft flackernde Schatten an die Decke. Über mir baumeln Schlafhalter, die ich vor Jahren dort angebracht habe, nur für den Fall, dass ich doch mal unerwartet Besuch bekomme. Das Radio läuft leise. »Viele Fachleute vermuten, dass die Zahl der Hepra zwischen drei und fünf liegen wird«, erklärt ein Analyst im Studio. »Aber da der Direktor zu diesem Thema geschwiegen hat, lässt sich das unmöglich bestätigen.«
    Das Programm geht weiter mit ein paar Höreranrufen, darunter eine mürrische Frau, die vermutet, das Ganze sei eine abgekartete Sache: »Gewinner« würde am Ende jemand mit einem Haufen Geld und einflussreichen Freunden sein. Ihr Anruf wird unterbrochen. Andere Hörer spekulieren über die Anzahl der Hepra. Nur eines ist sicher: Es müssen
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