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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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taste über meine Haut. Überall kleine Pusteln. Ich blicke zur Uhr. Noch zehn Sekunden. Zehn Sekunden, um unentdeckt unter dem Radar durchzufliegen und zu hoffen …
    »Was ist denn mit dir los?«, fragt Poser und sieht mich an. »Du siehst krank aus.« Der Rest der Mannschaft dreht sich um.
    »N…N…Nichts«, sage ich mit klappernden Zähnen, reiße mich zusammen und wiederhole mit fester Stimme: »Nichts.«
    »Sicher?«, fragt er nach.
    Ich nicke, weil ich meiner Stimme nicht traue. Mein Blick zuckt zur Uhr. Noch neun Sekunden. Es fühlt sich an, als wäre der Zeiger mit Sekundenkleber fixiert.
    »Trainer!«, ruft Poser und wedelt mit dem rechten Arm. »Irgendwas stimmt nicht mit ihm.«
    Der Kopf des Trainers schnellt herum, dann sein Körper, nur den Bruchteil einer Sekunde später. Der Assistenztrainer kommt bereits auf uns zu.
    Ich hebe die Hände bis zu den Handgelenken aus dem Wasser. »Mir geht es gut«, versichere ich ihnen, aber meine Stimme zittert. »Alles bestens, lasst uns schwimmen.«
    Ein Mädchen vor mir betrachtet mich eingehend. »Was ist mit seiner Stimme los? Warum zittert sie so?«
    Angst vereist mein Rückgrat. Ein flaues Gefühl sickert in meinen Bauch, bis mein Magen sich umdreht. Tu, was du tun musst, um zu überleben , würde mein Vater mir sagen und übers Haar streichen. Was immer du tun musst .
    Und als der Trainer schon auf mich zukommt und alle mich anstarren, finde ich einen Weg zu überleben. Ich kotze in das Becken.
    »Das ist voll eklig! «, kreischt das Mädchen, spritzt das Erbrochene von sich und macht einen Satz nach hinten. Auch die anderen Schwimmer weichen zurück, Hände schlagen platschend ins Wasser.
    »Du! Sofort raus aus dem Wasser!«, brüllt der Trainer mich an.
    Nichts lieber als das. Die meisten sind zu abgelenkt von dem Erbrochenen im Becken, um auf meinen Körper zu achten. Er ist von oben bis unten mit Gänsehaut bedeckt. Außerdem zittere ich. Der Trainer und sein Assistent haben mich fast erreicht. Ich hebe den Arm und tue so, als müsste ich mich noch mal übergeben. Sie bleiben wie angewurzelt stehen.
    Ich laufe vornübergebeugt in die Umkleidekabine. Drinnen mache ich würgende Geräusche, während ich mich abtrockne und meine Kleider anziehe. Ich habe nicht viel Zeit, bis sie reinkommen. Auch angekleidet zittere ich noch. Ich höre sie näher kommen. Ich gehe in die Hocke und mache ein paar Kniebeugen.
    Aber es ist zwecklos. Ich kann nicht aufhören zu zittern. Als ich höre, wie die Ersten vorsichtig fragend die Umkleidekabine betreten, schnappe ich meine Tasche und laufe zur Tür. »Ich fühl mich nicht gut«, sage ich und dränge an ihnen vorbei. Ihre Gesichtszüge sind vor Ekel verzerrt, als sie zurückweichen, aber das ist okay. An diesen Blick bin ich gewöhnt.
    Genau so sehe ich mich im Spiegel an, wenn ich alleine zu Hause bin.
    Wenn man sein Leben lang versucht, etwas nicht zu sein, hasst man dieses Etwas irgendwann.
    Im Kurs für englische Literatur, unmittelbar vor der Deklaration, kann sich keiner konzentrieren. Alle – einschließlich der Lehrerin, die nicht einmal so tut, als habe sie die Absicht, normalen Unterricht abzuhalten – wollen über die Deklaration reden. Ich bin still und versuche aufzutauen, die Kälte sitzt mir immer noch tief in den Knochen. Die Lehrerin beharrt darauf, dass es bei der Deklaration nur um eine weitere Jagd gehen könne. »Der Herrscher wird schließlich nicht noch einmal heiraten«, sagt sie, wirft einen verstohlenen Blick zur Uhr und zählt die Minuten bis zwei.
    Um Viertel vor werden wir schließlich in die Aula geführt. Sie brodelt vor Aufregung. Die Lehrer stehen an den Seiten und treten von einem Fuß auf den anderen. Ganz hinten lungern sogar die Hausmeister unruhig herum. Endlich ist es zwei Uhr und auf der Leinwand über der Bühne leuchtet das Symbol unserer Nation auf: zwei Reißzähne, die für Wahrheit und Gerechtigkeit stehen. Einen schrecklichen Moment lang stottert der Projektor und das Bild fällt aus. Ein Stöhnen geht durch die Sitzreihen; Techniker hasten zu dem Projektor, der schwer und sperrig wie alle audiovisuellen Geräte in der Mitte der Aula steht. Nach einer Minute haben sie den Apparat wieder zum Laufen gebracht.
    Gerade noch rechtzeitig. Der Herrscher, an seinem Schreibtisch im Circular Office, setzt gerade zu seiner Rede an. Seine Hände sind gefaltet, seine langen Finger verschränkt, die Nägel glänzen im Scheinwerferlicht.
    »Meine lieben Bürger«, beginnt er. »Als am
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