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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht
Autoren: Andrew Fukuda
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mindestens zwei sein, weil der Direktor in einem O-Ton, der in Endlosschleife eingespielt wird, den Plural benutzt hat.
    Nach ein paar weiteren Anrufen schalte ich ab. In der nachfolgenden Stille höre ich das leise Platschen der Regentropfen an den Fensterläden.
    Manchmal ist mein Vater tagsüber mit mir rausgegangen. Außer wenn wir schwimmen waren, habe ich es gehasst. Selbst mit Mondbrille war es überwältigend grell. Die brennende Sonne war wie ein niemals blinzelndes Auge, das Licht wie Säure aus einem Becher schüttet und die ganze Stadt in einen endlosen Blitz verwandelt. Nichts bewegte sich dort draußen.
    Mein Vater führte mich in leere Sportstadien und verlassene Einkaufszentren. Nichts war abgeschlossen, weil das Sonnenlicht absolute Sicherheit bot. Wir hatten den ganzen Core Park zum Drachensteigen für uns oder ein leeres öffentliches Bad zum Schwimmen. Mein Vater erklärte mir, dass die Fähigkeit, der Sonne zu widerstehen, eine Stärke war, die uns mächtig machte. Wir können aushalten, was sie tötet . Aber für mich war es etwas, das uns nicht stärker, sondern nur anders machte. Ich wollte sein wie die anderen, eingehüllt in das dunkle Gewölbe, das mein Zuhause war. Ich fand die Dunkelheit tröstend, ich fühlte mich wohl darin. Das verletzte meinen Vater, auch wenn er nichts sagte. Nach und nach gingen wir immer seltener raus.
    Nur noch, wenn wir von einem gewissen schrecklichen Bedürfnis gepackt wurden.
    Wie jetzt. Ich öffne die Tür. Es hat aufgehört zu regnen.
    Ich wage mich hinaus.
    Die Stadt schläft fest hinter den verrammelten Hüllen der Dunkelheit. Ich »leihe« mir ein Pferd von einem Hof in der Nachbarschaft und reite unter einem verhangenen Himmel durch die leeren Straßen.
    Ich habe mich auf den Weg gemacht, weil der Drang mich alle paar Wochen hinaustreibt. Als mein Vater noch lebte, sind wir immer gemeinsam losgezogen. Schweigend und ohne uns in die Augen zu sehen, weil wir uns voreinander schämten. Wir ritten über die Stadtgrenze hinaus in das Weite Land Ungewisser Ausdehnung. Ein echter Zungenbrecher, deshalb nennen die meisten Leute es einfach nur: das Weite. Es ist ein endloser Streifen von Wüstenebene. Niemand weiß, wie weit er sich erstreckt und was jenseits davon liegt.
    Weil ich direkt am Stadtrand wohne, weit entfernt von den Bürotürmen des Bankenviertels und noch weiter entfernt vom Zentrum der Metropolis, wo die hoch aufragenden Wolkenkratzer der Regierung den Horizont verstellen, dauert es nicht lange, bis die Stadt endgültig hinter mir liegt. Die Stadtgrenze ist unbestimmt: Es gibt keine Mauer, die den Anfang von »das Weite« markiert. Es beginnt unmerklich. Vereinzelte Häuser gehen über in stillgelegte Geflügelfarmen, die ihrerseits längst verlassenen Schuppen weichen. Irgendwann gibt es nur noch das Land, das sich endlos erstreckt. Das Weite. Dort draußen ist nichts. Keine Zuflucht. Nur die grausamsten aller Elemente: Wüste, Verlassenheit und Tod. Dort draußen gibt es kein Entkommen für uns, sagte mein Vater immer, keine Zuflucht, keine Hoffnung, kein Leben. Komm nie mit dem Gedanken hierher, dass es ein Entkommen gibt .
    Ich trödele nicht lange herum, sondern halte mich Richtung Norden. Etwa eine Stunde entfernt liegt mitten in das Weite ein einsamer, von grünem Flaum überzogener Hügel, eine seltsame Laune der Natur, die meine Eltern vor Jahren entdeckt haben. Und was ich brauche, wartet in diesem grünen Teppich. Als meine Füße das weiche Gras berühren, renne ich schon auf eine Gruppe von Bäumen zu. Ich pflücke eine rote Frucht von einem Ast, schließe die Augen, beiße in die weiche Schale und zermahle die süße wässrige Frucht. Wenn mein Vater und ich Obst gegessen haben, haben wir uns immer den Rücken zugewandt. Schon beim Kauen schämten wir uns, Bissen für Bissen, während der Saft über unser Kinn rann, und konnten doch nicht aufhören.
    Nach der vierten Frucht zwinge ich mich, langsamer zu essen. Ich pflücke verschiedene Obstsorten und werfe sie in eine Tasche. Eine Weile betrachte ich den Himmel. Hoch über mir gleitet ein großer Vogel mit seltsam rechteckigen Flügeln. Er kreist mit eigenartig regloser Gestalt über mir, fliegt dann nach Osten und verschwindet in der Ferne. Ich pflücke noch ein paar Früchte und gehe zu unserem Lieblingsplatz, einem großen Baum mit hoher, voller Krone. Den Rücken an den Stamm gelehnt, haben mein Vater und ich immer unter diesem Baum gesessen und Obst gegessen, vor uns in der
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