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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes
Autoren: Beatrix Mannel
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dorthin. Ihre Bewacher flüsterten und hockten sich dann ebenfalls auf den Felsen.
    Paula schmiegte sich in Villeneuves Arm und gähnte. »Vielleicht träume ich eine vernünftige Lösung.« Sie be trachteten die aufgehende Sonne nur wenige Minuten, dann fielen ihnen die Augen zu, und erst zwei Stunden später wachte Paula von der brennenden Sonne mit steifem Rücken auf und wusste zuerst nicht, wo sie sich befand. Doch dann erinnerte sie sich und verspürte den Impuls, sofort an ihr Parfüm zu stürzen und weiterzuarbeiten.
    Sie löste sich vorsichtig von Villeneuve, der tief und fest schlief, strich ihm über seine Wange, küsste seine Hand und rappelte sich auf.
    Mit wackligen Beinen streckte sie sich und gähnte. Was für ein schöner Tag, die Sonne stand an einem wolkenlosen Himmel, der durchscheinend blau war wie die Flakons ihrer Großmutter. Eine leichte Brise machte die Hitze erträglicher. Sie wandte ihre Augen vom Himmel ab und betrachtete das, was unter dem Felsen lag.
    Auf der einen Seite schimmerten die tief unter ihr liegenden hellgrünen Reisterrassen, deren feine Grashalme mit dem Wind hin und her tanzten. Auf der anderen Seite lag die weite Ebene mit silbrig sich dahinschlängelnden Flüssen, und als sie sich umwandte, fiel ihr Blick auf dichten Wald, der von hier oben wie eine schwarz-olivenfarbene Wand wirkte und aus dem grau wabernde Dampfwolken aufstiegen wie Rauchsäulen.
    Dieses Land war eine solche Herausforderung, kein Wunder, dass dem königlichen Parfüm noch etwas fehlte. Es kann nichts aus der Welt sein, aus der ich komme, wurde Paula klar. Es muss etwas sein, das es nur hier gibt, so typisch wie der Geruch von gekochtem Reis, Pampelmusen- und Ylang-Ylang-Blüten.
    Sie nutzte es aus, dass ihre Bewacher auch noch schliefen, schlich an den beiden Soldaten vorbei und machte sich auf den Weg nach unten.
    Immer schneller rannte sie die großen unregelmäßigen Treppenstufen hinunter, um endlich wieder an ihrem Entwurf zu riechen und herauszufinden, was sie falsch gemacht hatte oder was noch fehlte.
    Kurz hinter den königlichen Wasserbecken blieb sie stehen. Etwas hatte sie irritiert, etwas, das sie aus den Augenwinkeln heraus wahrgenommen und das sie aus ihren Gedanken gerissen hatte. Sie lief wieder zurück.
    In ihrer Erinnerung war das Wasser in den Becken so hellgrün wie junge Birkenblätter, aber jetzt war der Himmel in das Becken gefallen. Eine Spiegelung, eine optische Täuschung. Dann bewegte sich der Himmel, sie kniff die Augen zusammen und ging vorsichtig noch näher heran.
    Dieser Himmel war blau wie ein Sommertag in den Alpen, blaulila wie Lavendelfelder, lapislazuliblau. Paulas Kehle wurde eng.
    Die gesamte sattgrüne Wasseroberfläche des riesigen steinernen Beckens war mit blauen Schmetterlingen übersät, die sich in der Morgensonne versammelt hatten, um an dem heiligen Neujahrswasser der Königin zu nippen.
    Sie trat vorsichtig noch einen Schritt näher und spürte, wie ihr Puls sich dem Flügelschlag der Schmetterlinge anpasste, sie musste einfach noch dichter an sie heran.
    Doch als sie noch näher kam, flog einer der Schmetter linge zu ihr, und alle anderen folgten ihm, umfächelten Paula, hüllten sie für einen Moment in einen Schleier aus durchscheinend blauer Seide.
    Dann erhoben sie sich und schwärmten aus, dem Himmel entgegen.
    Paula blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete das goldgrüne Wasser, in dem sich jetzt nur noch die Sonne widerspiegelte, und da wusste sie, was sie ihrem Parfüm noch hinzufügen musste.

48
    Eau de Madagascar
    A ls die Sonne sich wieder kupfern verfärbte, wurde Paula
mit Villeneuve, Noria und Nirina zur Königin eskortiert.
    Paula trug ihr Parfüm in einem Flakon, das Noria in einer Kommode gefunden hatte. Als sie es ihr gezeigt hatte, wäre Paula beinahe in Ohmacht gefallen, erst die Schmetterlinge und jetzt das. Denn es war ganz sicher eines der blauen Flakons ihrer Großmutter, mit einem silbernen Ballon.
    Nachdem sie sich beruhigt und Villeneuve ihr versichert hatte, dass es dafür ganz sicher eine gute, höchst natürliche Erklärung geben müsste, fiel ihr Mathildes Brief ein, sie las ihn noch einmal, und da stand es:
    Mathilde hatte diesem Halsabschneider Laborde ein Fla kon des Kaiserin Eugenie-Parfüms für Ranavalona I. gegeben.
    Nach Paulas Begegnung mit den Schmetterlingen hatten sie den Rest des Tages gebraucht, um das Flakon sauber zu bekommen, und während ihrer angestrengten Putzversuche hatte Noria ihnen immer wieder
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