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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen
Autoren: Dagmar Fohl
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Ricken wird sich in Kürze auf die Insel begeben und die Eingeborenen über den Leuchtturm und den Beginn der Bauarbeiten, die wir für Mitte März anberaumen, informieren.
     
    Herr Ricken wird Sie nach dem Inselbesuch in Hamburg aufsuchen, um Sie über Einzelheiten zu informieren. Vorgesehen ist der 30. September.
     
    gez. Von der Velden
     
    »Es ist alles genehmigt!« Andreas Hartmann bebte vor Erregung. »Das wird der größte Turm, den ich bislang gebaut habe.«
    Er umarmte Almut, was nicht mehr häufig vorkam. Almut wich zurück. Sie ergriff seine Hände.
    »Willst du den Turm wirklich bauen? Du musst mit dem Schiff fahren. Es ist das erste Mal seitdem. Ich mache mir Sorgen um deine Nerven. Und du wirst uns das ganze Jahr über nicht besuchen können. Die Kinder werden dich vermissen. Und ich auch, Andreas.«
     
    Andreas Hartmann zog seine Hände zurück. Almuts Worte hatten ihn verängstigt. Er hatte die Notwendigkeit, mit der Fähre überzusetzen, immer wieder verdrängt. Jetzt ließ sie sich nicht mehr beiseiteschieben. Ein dunkler Schatten schob sich über ihn. Er versuchte, den Schatten zu verscheuchen.
    »Ich kann und will nicht ablehnen. Der Leuchtturm wird viele Menschenleben retten. Es wird der wichtigste Turm in den friesischen Gewässern. Ich werde ihn bauen.«
    Almut faltete die Hände. »Der Herr möge dich begleiten und schützen, Andreas.«
     
    H
     
    Es wehte ein kräftiger Nordwest. Keike stromerte mit Stine und den Mädchen den Strand entlang. Sie hatten Glück. Es regnete nicht und Nissen und seine Leute waren auch nicht in Sicht. Sie suchten den Meeressaum nach Nützlichem ab. Sie hatten Kiepen und Beutel dabei. Und ihre Messer. Sie waren Tag und Nacht unterwegs, um Strandgut zu sammeln. Ohne Strandgut konnten sie nicht leben. Sie besaßen ein paar Schafe und einen Kartoffelacker, einen Bienenstock, einen Webstuhl und ein Spinnrad. Sie gingen in die Dünen, schnitten Strandhafer, drehten aus den Halmen Reepe und Seile. Sie pflückten Heide und banden Besen. Aber das reichte nicht, um durchzukommen. Gott segne den Strand!
    Sie sammelten unentwegt. Wenn sie sich erwischen ließen, drohten ihnen hohe Geldstrafen oder Zuchthaus. Oder Prügel. Knudt Nissen prügelte, wenn man in seine Fänge geriet.
    Der Strandvogt und seine Leute waren immer unterwegs. Wenn es stürmte, bei einfallendem Nebel und dunklem Wetter, bei Eisgang im Winter. Und in der Nacht. Nissen wollte ihnen nichts lassen. Überall mussten sie damit rechnen, dass er aufkreuzte. Er tauchte sogar bei zu ihnen zu Hause auf und schnüffelte herum. Keike schnaubte Luft durch die Nase.
    Eines Tages werden die schwarzen Zauberwesen aus dem Reich der Inselnacht auftauchen, sie werden die Heiden aufsuchen, die Sandwüsten, die Moore, finstere Scheunen. Sie werden auf den Kirchhöfen und Totenhügeln tanzen und mit langem, offenem Haar, das im Wind flattert, durch die Nacht fliegen. Und wenn sie durch die Inselnacht rauschen, geschehen grauenhafte Dinge. Weder Mensch noch Tier ist vor ihnen sicher. Auch Knudt Nissen nicht.
    Keike hob einen Stein auf und schleuderte ihn ins Wasser. Jetzt war auch noch ein Bauinspektor von der Regierung gekommen. Es war beschlossene Sache. Nächstes Jahr sollte ein Leuchtturm gebaut werden. Wovon sollten sie leben? Sie brauchten die Strandungen.
    Keike warf einen weiteren Stein. Wenn unwillkommene Fremde den Fuß auf die Insel setzen, werden sie ins Wasser gestoßen und mit langen Stangen auf dem Grund gehalten.
    Eine größere Welle brach sich. Die Gischt spritzte Keike ins Gesicht. Sie leckte das Salzwasser von den Lippen. Es prickelte auf der Zunge, schmeckte bitter.
    Sie zogen weiter am Ufer entlang, fanden Tücher, Kerzen, Garnrollen, Holzstücke.
    »Da hinten«, rief Stine.
    Stine lief vor. Sie winkte sie herbei.
    »Ein Seehund! Er ist tot. Und nicht verfault.«
    Gott war ihnen gnädig. Die Kinder tanzten um das Tier herum. Zu viert wuchteten sie den Seehund in den Korb und schleiften ihn über die Dünen nach Hause. Die Mädchen sangen und lachten. Ein schöner Tag. Es war ein schöner Tag für sie.
    Vorm Haus rollte Keike den Seehund auf den Rücken. Sie nahm ihr Messer und schnitt ihn von der Mitte her auf. Stine zog das Fell samt Speck ab und spannte es auf ein Brett. Keike löste den Speck heraus und schnitt ihn klein, genau wie Grieben von einem Schwein. In einem großen Eisentopf kochte sie den Speck aus. Keike rührte. Stinkende Dunstwolken stiegen auf. Marret und Göntje hielten sich die
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