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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen
Autoren: Dagmar Fohl
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paar arme Schlucker werden wir auf der Insel keine Arbeitskräfte finden. Es ist auch schwierig, Arbeiter vom Festland einzustellen. Sie werden den Aufenthalt auf der Insel als Verbannung ansehen, was ich, nachdem ich dort war, gut verstehen kann. Wir müssen Handwerker finden, die die Insel nicht kennen. Vielleicht sollten wir auch die Löhne etwas höher setzen.«
    »Ist das nicht übertrieben? Die Männer sind das schlichte Baustellenleben gewohnt und freuen sich nachher umso mehr auf ihr Zuhause. Mir selbst geht es genauso.«
    »Dieser Kuchen, also wirklich, ein großes Lob an Ihre Frau.«
    »Danke, ich werde es ihr ausrichten.«
    Ricken beäugte ihn mitleidig. »Ich will Ihnen von der Versammlung berichten. Ich habe den Leuchtturmbau angekündigt und seine Notwendigkeit erläutert. Aber es gab einen Tumult. Alle riefen durcheinander. Jeder hatte eine andere Begründung, warum der Leuchtturm nicht nötig sei.
    ›Die Untiefen reichen weit ins Meer hinein. In dunklen Nächten werden die Schiffe das Licht viel zu spät sehen‹, meinte einer.
    ›Ein Leuchtturm wird die vom Kurs abgekommenen Schiffe nicht durch die enge Fahrrinne leiten, sondern sie noch mehr irreführen‹, ein anderer. Sie glauben nicht, was die Insulaner sich ausdenken, um den Leuchtturm zu verhindern.
    Ein Leuchtturm sei sinnlos. Bei einem Schneesturm sei er gar nicht zu sehen. Und Seeleute, die ihr Schiff stranden lassen, seien dumm. Kein Leuchtturm auf Erden könne verhindern, dass dumme Seeleute Fehler machen.
    Ein alter Fischer rief: ›Es sind doch die Stürme, die die Schiffe untergehen lassen. Ein Leuchtturm wird niemals Stürme dazu bringen, sich zu legen.‹
    Das Unglaublichste, was mir zu Ohren kam, war, dass es Gottes Wille sei, wenn ein Schiff sinkt und die Besatzung umkommt. Das ist doch wirklich ungeheuerlich.«
    Andreas Hartmann stellte seine Tasse ab. »Es sind einfältige Menschen.«
    Ricken schnäuzte sich. »Sie sind nicht so dumm, wie Sie glauben. Niemand will einen Leuchtturm, weil auf der Insel mit Strandungen mehr Geld zu verdienen ist als durch redliche Arbeit. Auf den Strandvogt können Sie auf gar keinen Fall zählen. Er hat einen sehr schlechten Ruf.« Er wischte einen Kuchenkrümel von seinem Jackett. »Außerdem haben wir eine Strandordnung, die unmenschliches Verhalten begünstigt. Die Berger erhalten ein Drittel vom Wert des gestrandeten Schiffes und der Ladung. Das heißt, wenn es keine Überlebenden gibt, fällt das, was am Strand geborgen wird, zu einem Drittel an den Berger, zu zwei Dritteln an den Eigentümer des Schiffes. Was auf offener See aufgefischt wird, geht sogar zur Hälfte an die Berger. Der Strandvogt, er heißt Knudt Nissen, verteilt den Bergelohn an seine Leute und verkauft das Strandgut. Ihm ist nicht zu trauen. Ein widerwärtiger Bursche übrigens.«
     
    »Das schüchtert mich nicht ein. Ich werde Arbeiter finden und die Ärmel hochkrempeln. Ich werde den Winter über alles vorbereiten. Die Lampe ist schon bestellt. Ingenieur Klattke aus Berlin wird sie fertigen. Ich habe gute Erfahrungen mit ihm gemacht.«
    »Ich freue mich über Ihren Tatendrang. Sie werden ihn nötig haben. Lassen Sie uns noch einmal alles genau durchgehen, bevor ich wieder nach Berlin fahre. Ich werde Sie unterstützen, wo ich kann.
    Und halten Sie sich auf der Insel an Pastor Jensen und Kapitän Lorenzen. Sie sind etwas wunderlich, scheinen jedoch die einzigen Befürworter des Leuchtturms zu sein. Na ja, vielleicht übertreibe ich jetzt ein bisschen. Aber eins ist sicher: Die meisten Insulaner wollen den Leuchtturm nicht.«
     
    H
     
    Es lag etwas Unheimliches in der Luft. Der Wind war eingeschlafen. Kein Halm bewegte sich, keine Feder flog über den Sand. Am Himmel braute sich pechschwarzes Gewölk zusammen. Wie Blei hingen die Wolken über der Insel. Plötzlich spalteten gleißende Blitze die Wolkenfront. Ein furchtbarer Sturm brach los. Tagelang peitschte er über die Insel, bohrte sich in die Dünenberge hinein und brachte sie zum Rauchen. Turmhoch wirbelte der Orkan den Sand durch die Luft.
    Das Meer erbebte. Weiße Wasserberge stürzten mit Donnergrollen heran, erschütterten die Insel, dröhnten begleitet vom Aufheulen der Böen, das wie das Klagen verzagter Dünengeister klang, die ihre Wohnstatt verloren. Die Wellen jagten an das Ufer, nagten wie Ratten an den Dünen, bissen ihre Kanten ab, verschlangen sie gierig, um beim nächsten Aufbrausen des Windes erneut ihren unbändigen Hunger zu stillen.
    Ein Schiff
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