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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder
Autoren: Jennifer McMahon
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Behauptung, dass sie dieselbe Mutter hätten, war eine Lüge. Die beiden erzählten nämlich, Rhonda sei noch im Bauch geblieben, nachdem Lizzy schon draußen war, und ihre Mutter hätte gar nichts von dem zweiten Kind gewusst, bis sie zwei Tage später zur Toilette ging und Rhonda herauspurzelte.
    «In die Kloschüssel», brüllten die Mädchen gerne mit ihrer singenden Stimme, deren Tonlage und Tonfall genau gleich war. «Rhonda ist in die Kloschüssel geplumpst!» Was ihnen überhaupt nicht wie ein schlechter Anfang vorkam, sondern einfach nur komisch.
     
    Peter rannte vor ihnen her und war dem Hasen am nächsten. Er hatte die rote wollene Jagdmütze seines Vaters auf, trug aber keine Jacke. Er war dreizehn, und Rhonda wusste, dass Jungs mit dreizehn niemals Jacken trugen, wenn es draußen nicht wirklich klirrend kalt war. Er hatte verkündet, dasser heute zum letzten Mal bei der Eiersuche mitmachen würde: Osterkörbe seien Kinderkram.
    Der Pfad, den sie entlangeilten, machte einen Bogen, und Lizzy stolperte über eine Baumwurzel, fiel hin und riss Rhonda mit sich, woraufhin beide Mädchen wie wild loskicherten. Ihre guten Osterkleidchen waren ohnehin schon hinüber.
    «Iih!», rief Rhonda und stand auf. «Was hast du eigentlich gegessen?»
    «Sardinen», antwortete Lizzy lächelnd.
    «Pfui Teufel! Zum Frühstück?»
    «Mein Dad sagt, da ist massenhaft Kalzium drin. Du weißt schon, das ist gut für die Knochen und so, den Knochenaufbau. Das ist der neueste Teil der
Rockette-
Diät.»
    «Du riechst aus dem Mund wie Katzenfutter.» Rhonda rannte den Pfad entlang hinter Peter und dem Hasen her. Lizzy folgte dichtauf.
    Rhonda fand diese ganze, sich ständig verändernde
Rockette-
Diät dämlich, sogar schon den Namen. Am dämlichsten kam es ihr dabei vor, dass Lizzy die
Rockettes
nie wirklich gesehen hatte, sondern immer nur im Fernsehen. Wie soll man denn aufgrund einer fünfminütigen Tanznummer auf einem mittelgroßen Fernsehbildschirm wissen, dass man genau das und nichts anderes mit seinem Leben anfangen möchte? Aber Lizzy war fest entschlossen. Und als
Rockette
, darauf wies sie Rhonda immer wieder hin, musste man mindestens eins achtundsechzig groß sein.
    «Ich bin viel zu klein, Rhonda.»
    «Du bist doch erst zehn! Für eine Zehnjährige hast du Durchschnittsgröße.»
    «Meine Eltern sind beide nicht groß. Ich bin von den Genen her zum Kleinsein verdammt.»
    Und so übte Lizzy nicht nur, das Bein bis in Augenhöhe zu schwingen, sondern aß auch merkwürdige Nahrungsmittel, die angeblich das Größenwachstum förderten, und mied Erfrischungsgetränke, die angeblich den Knochen schadeten und das Wachstum behinderten.
    «Außerdem», erklärte sie, «ist massenhaft Zucker in dem Zeugs. Und wann hätte es jemals eine dicke
Rockette
gegeben?»
     
    Peter und der Hase hatten die Bühne erreicht. Der Hase sprang auf den Fahrersitz des alten, schon lange nicht mehr genutzten Cabrios und tat so, als würde er fahren.
    «Hierher», schrie Peter.
    Die Mädchen rannten noch schneller, um ihn einzuholen.
    In einem Schneenest auf dem Rücksitz lagen drei Plastikeier, die den wahren Beginn der Suche markierten.
    «Oh!», rief Lizzy und schlug die Hände zusammen, als wären die Eier eine riesige Überraschung – und nicht genau das, was sie dort suchten.
    Rhonda bückte sich und nahm ihr Ei aus dem Wagen. Wie in einem Glückskeks steckte in dem orangeroten Ei ein Zettel mit einer Botschaft:
Steig auf den Hügel. Schau dort oben neben dem Stein nach.
    Sie blickte zum Hasen auf, der jetzt, die Hände in die Hüften gestemmt, ungeduldig auf der Motorhaube stand. Mit seinen großen weißen Pfoten und Ohren, den Kunststoffaugen à la Bugs Bunny, die nach jahrelangem Ostereinsatzim Kostümverleih zerkratzt waren, und dem schäbigen weißen Fell, das nach chemischer Reinigung roch, schien er nichts Gutes zu verheißen.
    Rhonda rannte zur Hügelkuppe hoch und überließ Freund und Freundin ihrer eigenen Suche.
    So ging es fast eine Stunde lang weiter. Kreuz und quer durch den Wald, von einem Ei und dem darin versteckten Hinweis zum nächsten. Dabei begegnete sie auch Lizzy und Peter, und sie verglichen ihre Verstecke und Botschaften, aber immer atemlos und in Eile, um gleich mit der Suche weiterzumachen.
    Rhondas Atem stach wie Qualm in der Kehle. Sie keuchte vor Anstrengung. Der Hase schoss feixend immer wieder zwischen den Bäumen hervor. Mal zeigte er in die eine Richtung, dann in eine andere. Er hielt sich Kopf und Bauch
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