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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder
Autoren: Jennifer McMahon
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bestellt hatte.»
    Rhonda nickte dann immer. Sie kannte Dave. Er war der Chef der Sägemühle. Einmal war er mit einem Schwarzbären aneinandergeraten, und wenn man nicht aufpasste, bot er an, einem die Narben zu zeigen. Am Hintern hatte er die.
    «Ich führte gerade den Stamm einer Hemlocktanne durch die Säge», fuhr Clem dann fort. «Daniel stand hinter mir.»
    «Und da hatte er einen Anfall», ergänzte Rhonda, die die Geschichte auswendig kannte.
    «Genau, mein Schatz. Er fiel gegen mich, und ich war nicht darauf vorbereitet. Meine Hand fuhr direkt in die Säge hinein.»
    «Hat es sehr wehgetan?», fragte Rhonda.
    «Nein», antwortete Clem. «Es ging zu schnell, und danach stand ich erst einmal unter Schock.»
    «Unter Schock», wiederholte die kleine Rhonda und dachte dabei an den Elektroschock eines Stromschlags, daran, dass sie nicht an die Steckdosen gehen und bei Gewitter nicht draußen spielen sollte.
    «Es war ein Unfall», erklärte Clem dann immer.
    «Aber was ist mit deinen Fingern passiert?», fragte Rhonda und zappelte ungeduldig auf dem Schoß ihres Vaters herum.
    «Das weiß ich leider nicht», antwortete Clem.
    Rhonda stellte sich vor, wie die Finger, noch immer warm, im Sägemehl lagen.
    «Ich glaube, deine Finger waren einsam und haben sich nach deiner Hand gesehnt», sagte das kleine Mädchen dann immer.
    Und ihr Vater – der einmal gestanden hatte, dass er manchmal morgens nach dem Aufwachen das Gefühl hatte, er müsste nur die Hand richtig bewegen, und dann würden seine Finger aufwachen – lächelte anschließend traurig und ein wenig sehnsüchtig.
     
    Rhondas Mutter Justine kam aus der Küche ins Wohnzimmer geschlurft, die Füße in abgelatschten rosa Pantoffeln. Sie trug ihr übliches Outfit: einen Trainingsanzug. Die Farbe war heute, Ostern zu Ehren, ein blasses Lavendelblau. Sie brachte ein frisches Tablett mit Zimtrollen herein und stellte es mitten auf den Tisch.
    «Justine», sagte Aggie mit schwerer Zunge, «du hast dich wieder einmal selbst übertroffen! Alles sieht einfach
wundervoll
aus!»
    Justine nickte und ging in die Küche, um Waffeln zu backen und sich dann zweifellos mit einer Tasse schwarzen Kaffee und einem Liebesroman in die Frühstücksnische zu verkriechen. Rhonda dachte, dass sie ihrer Mutter eigentlich helfen oder ihr wenigstens Gesellschaftleisten sollte. Stattdessen stand sie wie festgewachsen vor der Terrassentür, die aus dem Wohnzimmer nach draußen führte, und hielt Ausschau, wann Lizzy und der Hase endlich zwischen den Bäumen am Rand des Gartens auftauchen würden.
    «Vielleicht haben sie sich ja verirrt», sagte Rhonda einfach so vor sich hin. Sie drehte sich um und sah, dass Aggie sich vorbeugte, ihrem Vater die Zigarette aus dem Mund nahm, sie zwischen ihre Lippen steckte und mörderisch tief inhalierte.
    Rhonda wandte sich wieder um und blickte weiter aus dem Fenster, brachte die kalte Glasscheibe mit ihrem Atem zum Beschlagen und zeichnete mit dem Finger aufs feuchte Glas. Sie malte Eier. Und einen ziemlich unbeholfen wirkenden Hasen mit unterschiedlich langen Ohren.
    «Da sind sie ja», sagte Peter. Er war hinter sie getreten und hatte ihr das Kinn auf die Schulter gelegt. Sein Geleebonbon-Atem strich ihr über die Wange, und ihr wurde ganz warm davon.
    Zwischen den Bäumen kam der Hase hervor, und Lizzy thronte hoch oben auf seinen Schultern und sah in ihrem gelben Kleid und den gelben Schuhen wie eine Osterkönigin aus. Lachend schwenkte sie ein mit Süßigkeiten gefülltes rosa Körbchen, während der Hase mit ihr über den Rasen trabte und ihre Beine mit seinen riesigen weißen Pfoten gegen seine Brust drückte.
    Drinnen angekommen, setzte der Hase Lizzy ab, ging zu Aggie hinüber, flüsterte ihr etwas ins Ohr und legte ihr die Hand auf den Hintern. Sie rieb sich lachend mit dem wackelnden Hinterteil an ihm. Dann drehte sie sich um,sah ihn an und zupfte ihn zärtlich an den krummen weißen Ohren.
    «Nimm dieses alberne Ding ab, Daniel», sagte sie, und der Hase nahm den Hasenkopf ab und klemmte ihn sich unter den Arm.
    Daniels strubbeliges blondes Haar stand kreuz und quer nach oben. Er trug einen dicken Walross-Schnauzbart, und zwar schon so lange, wie Rhonda ihn kannte. So ein Bart, in dem gerne mal Essen hängen blieb und der kitzelte, wenn Daniel einem einen Kuss auf die Wange gab oder einem auf den Bauchnabel pustete.
    Peter schlich sich an, mopste den Hasenkopf und setzte ihn sich selber auf. Daniel stieß ein gespieltes Wutgeheul aus und
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