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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven
Autoren: Sarah Lark
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durch Schuften in der Landwirtschaft und in Steinbrüchen selbst finanziert. Zuletzt hatte er sich sogar als Matrose verdingt, um die Rückfahrt nach Jamaika zu bezahlen.
    Deirdre ließ ihr Pferd noch einmal kurz angaloppieren, um die Ställe schneller zu erreichen. Der Blick auf den geschmückten Garten hatte ihr ins Gedächtnis gerufen, dass sie längst nicht mehr auf dem Pferd sitzen, sondern sich umziehen und für den Abend zurechtmachen sollte. Dies war schließlich ihr Fest – die Fortnams feierten ihren achtzehnten Geburtstag.
    Im Stallbereich war man längst auf den Empfang der Gäste vorbereitet. Kwadwo, der alte Stallmeister, erwartete die Kutschen vor dem Eingang, bereit, die Gäste zu begrüßen und ihnen ihre Pferde abzunehmen. Dabei hatte er es sich nicht nehmen lassen, sich in die traditionelle Livree des hochherrschaftlichen Hausdieners zu kleiden: hellblau mit gelben Aufschlägen am Kragen und an den Ärmeln. Dazu trug er eine weiße, gepuderte Perücke. Deirdre fand, dass er darin eher komisch wirkte, aber Kwadwo schien der Aufzug zu gefallen. Er pflegte würdevoll einherzuschreiten und den Damen und Herren mit elegantem Schwung die Kutschentüren zu öffnen. Dazu verbeugte er sich in der Manier eines Lakaien am Hofe des Sonnenkönigs. Irgendjemand musste ihm das einmal gezeigt haben, und Kwadwo hatte Gefallen daran gefunden, obwohl seine Herrschaft gar nicht so sehr auf Förmlichkeiten hielt.
    Ansonsten war sein Verhalten allerdings keineswegs besonders unterwürfig. Im Gegenteil, als Busha, wie man einen schwarzen Vorsteher einer Plantage auf Jamaika nannte, vertrat er die Interessen der ihm untergeordneten Sklaven. Doug Fortnam schätzte ihn als Mittler zwischen Sklavenquartier und Herrenhaus. Außerdem hatte Kwadwo die Stellung des Obeah-Mannes inne, des spirituellen Führers der Sklaven seiner Plantage. Das war allerdings streng geheim. Unter den Weißen war der Obeah-Kult verpönt und auf den Plantagen gewöhnlich verboten. Die Sklaven schlichen sich nachts heimlich zu den Zeremonien. Doug und Nora Fortnam hätten ihren Nachbarn gegenüber nie zugegeben, dass sie die Obeah-Zusammenkünfte ihrer Leute duldeten. Aber tatsächlich drückten sie beide Augen zu und sahen großzügig darüber hinweg, wenn mal ein Huhn als Opfer für die Obeah-Götter verschwand …
    Als Deirdre und ihr Begleiter nun ihre Pferde vor den Ställen verhielten, kam Kwadwo sofort zu ihnen. Allerdings sparte er sich bei der Tochter des Hauses die ehrerbietige Begrüßung. Im Gegenteil. Nach einem Blick auf den Stand der Sonne und die erhitzte Deirdre flog ein Ausdruck des Missfallens über sein breites, runzeliges Gesicht.
    »Gute Güte, Missis Dede, was machst du … was machen Sie denn hier? Sie müssten längst im Haus sein. Ihre Mommy wird schimpfen! Und allein ausgeritten mit einem Herrn! Benimmt sich so eine Lady? Gib’s zu, du hast das Pferd allein aus dem Stall geschmuggelt, ich hätte dich nicht ohne Begleitung losreiten lassen …«
    Deirdre lachte. »Dem Knecht wäre ich doch sowieso weggeritten!«, bemerkte sie.
    Kwadwo wandte die runden, dunklen Augen theatralisch genHimmel. »Und Mr. Keensley hast du wohl auch gleich abgehängt, oder? Wenn ich mir dein Haar so anschaue …«
    Deirdre hatte ihre Locken vor dem Reiten sicher aufgesteckt und unter ihrem Hut versteckt, wie es sich gehörte. Aber bei ihrem wilden Ritt hatten sie sich gelöst. Deirdre wollte eben zu einer Entgegnung ansetzen, als Quentin sein Pferd zwischen den Diener und ihre Stute trieb. Der junge Mann neigte zum Aufbrausen. Schon das Ausbleiben der ehrerbietigen Begrüßung hatte ihn erzürnt – und jetzt erwies sich der Sklave auch noch als erstaunlich scharfsinnig in Bezug auf seine Niederlage beim Rennen.
    »Wie sprichst du mit deiner Herrin, Nigger?«, fuhr er Kwadwo an. »Hab ich da eine unziemliche Anrede gehört?«
    Die Reitgerte des jungen Mannes durchschnitt die Luft – doch der alte Stallknecht fing den Schlag mit seiner großen, schwieligen Hand ab.
    »Nicht so, junger Herr!«, sagte er ruhig. »Ich bin kein Sklave, ich bin ein freier Mann. Und wie ich rede, darüber hab ich nur dem Backra Rechenschaft abzulegen und keinem …«
    Kwadwo brach ab. Frei oder nicht frei, es ziemte sich nicht für ihn, den jungen Mann zu tadeln. Dabei hatte Keensley die Rüge durchaus verdient. Es war eines Gentlemans nicht würdig, ein Mädchen ohne Anstandsdame auf einen Ausritt zu locken. Deirdre war manchmal etwas unbedacht, aber Quentin
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