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Die Insel der roten Erde Roman

Titel: Die Insel der roten Erde Roman
Autoren: Elizabeth Haran
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Bord gehoben wurden – in der tobenden See ein lebensgefährliches Unterfangen.
    Nach Schätzung der Matrosen mussten sich noch an die fünfunddreißig Passagiere im Heck aufhalten. Da im Rettungsboot für so viele Menschen kein Platz war, brachten sie die Kinder und deren Mütter sowie einige der ältesten Fahrgäste zuerst in Sicherheit.
    Lucy, Amelia und Sarah befanden sich noch immer im verwüsteten Salon, in dem das nackte Chaos herrschte. In wilder Panik und voller Angst, in der Dunkelheit von ihren Liebsten getrennt zu werden, drängten die Menschen zur Tür, stießen und schubsten einander, als jeder versuchte, so schnell wie möglich an Deck zu kommen und sich einen Platz im Rettungsboot zu sichern, bevor das Heck der Gazelle von den Klippen gerissen und in tiefes Wasser gespült wurde.
    Plötzlich wurde Amelia in dem Gedränge von ihrer Bediensteten getrennt. »Lucy!«, rief sie schrill. »Lucy, wo bist du?«
    Mit den Ellenbogen bahnte sie sich einen Weg aufs Deck und starrte angestrengt auf das Rettungsboot hinunter, doch in der tosenden See, über die der Regen peitschte, und dem schwachen Schein der Laterne konnte sie nur Umrisse erkennen.
    »Tut mir Leid, Miss.« Ein Matrose hielt sie mit eisernem Griff am Arm fest. »Das Boot ist voll.«
    »Lucy!«, schrie Amelia, als sie das Mädchen plötzlich an Bord des Rettungsboots erkannte. Lucy hatte auf ihre Herrin warten wollen, war aber von der Menge mitgerissen und von dem Matrosen an Bord gezerrt worden. Sarah befand sich unmittelbar hinter ihr.
    »Lucy! Du kannst mich doch nicht allein lassen!«, rief Amelia und wandte sich an den Matrosen, der sie am Arm festhielt. »Lucy ist meine Dienerin! Sie kann nicht ohne mich ins Rettungsboot steigen!«
    »Das Boot ist voll, Miss. Es wird kentern, wenn es überladen ist!«
    »Lassen Sie mich los!«, kreischte Amelia hysterisch. Unvorstellbar, dass man sie auf der Gazelle zurückhalten wollte! Hatte sie als Fahrgast der ersten Klasse nicht eher Anspruch auf einen Platz im Rettungsboot als ein Zwischendeckpassagier?
    Es gelang ihr, sich loszureißen, doch dabei verlor sie das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Als sie neben dem Rettungsboot prustend wieder auftauchte, klammerte sie sich an die Bordwand. Inzwischen war der Matrose von der havarierten Gazelle ins Wasser gesprungen und versuchte, Amelia wieder an Bord des Schiffes zu zerren. »Nur eine von Ihnen kann mit!«, rief er. Doch Amelia schlug um sich und gebärdete sich wie eine Verrückte. Unter den Menschen im Rettungsboot breitete sich Panik aus. Sie fürchteten, das Boot würde doch noch kentern.
    »Das ist mein Platz!«, kreischte Amelia und funkelte Lucy, die zusammengesunken vor Sarah kauerte, voller Angst und Zorn an.
    Lucy wollte aufstehen, um ihren Platz für Amelia zu räumen, doch Sarah sagte beschwörend: »Bleib«, und hielt sie am Arm zurück.
    Unschlüssig verharrte das Mädchen. Wenn Amelia das Boot zum Kentern brächte, würden sie alle sterben. Lucys gehetzter Blick schweifte über die verängstigten Kinder. Nein, sie konnte nicht verantworten, dass diese Kinder durch ihre Schuld das Leben verloren. »Bitte, lassen Sie Miss Divine ins Boot!«, bat sie den Matrosen inständig.
    »Das geht nicht! Wir dürfen es nicht überladen!«
    »Lucy!«, schrie Amelia abermals. »Du kannst nicht ohne mich gehen!«
    Lucy holte tief Luft und stand auf. »Ich komme!«, rief sie Amelia zu.
    »Nein, Lucy! Bleib!«, drängte Sarah.
    »Ich kann nicht«, antwortete Lucy. Sie hatte kein Recht auf einen Platz, der Amelia gebührte. Entschlossen schüttelte sie Sarahs Hand ab und kletterte aus dem Boot. Der Matrose half Amelia beim Einsteigen.
    »Wo willst du hin, Lucy? Komm sofort zurück!«, rief Amelia zornig und stampfte mit dem Fuß auf wie ein kleines Kind. Ihr war gar nicht bewusst, welches Opfer Lucy für sie gebracht hatte. Wieder schaukelte das Boot bedenklich, und die Menschen schrien in Todesangst.
    »Ich bringe das Mädchen in Sicherheit«, rief der Seemann an Bord der Gazelle . Schon wurde Lucy auf das Heck gehoben. Der Matrose im Rettungsboot stieß sich vom Schiffsrumpf ab.
    Sarah schaute zu Lucy hinauf, die an der Tür zum Salon stand. Ihr Gesichtsausdruck war der eines Menschen, der wusste, dass er zum Tode verurteilt ist. Sarah hätte mit Fäusten auf Amelia Divine einschlagen mögen, so groß war ihre Wut auf diese eigensüchtige Frau. Doch angesichts der bedrohlichen Lage, in der sie sich befanden, hatte sie vorerst andere Sorgen.
    Der Matrose
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