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Die Insel der roten Erde Roman

Titel: Die Insel der roten Erde Roman
Autoren: Elizabeth Haran
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versuchte, das Rettungsboot zwischen den aufragenden Klippen hindurchzusteuern, deren gezackte Umrisse sich schwarz in der Dunkelheit abzeichneten. In der aufgewühlten See war es eine schier unlösbare Aufgabe. Was sie brauchten, war ein Wunder in dieser an Wundern bislang so armen Nacht.
    Als das Rettungsboot sich ungefähr hundert Meter vom Schiff entfernt hatte, gab der Vorderteil der Gazelle plötzlich mit lautem Krachen nach und versank in den Fluten. Man konnte hören, wie das Holz gegen die Felsen geschmettert wurde und die Luft mit einem unheimlichen Zischen und Gurgeln aus den Kabinen entwich. Der Wind trug keine Hilferufe zum Rettungsboot hinüber; die Menschen an Bord der Gazelle hatten keine Chance. Amelia und die anderen klammerten sich an das Boot oder an ihren Nebenmann. Jeder fragte sich, ob er zu den Glücklichen zählte, die gerettet würden, oder ob er doch noch zum Tode verurteilt war.
    Der Matrose bot all seine Kraft auf, um den schmalen Küstenstreifen zu erreichen, der flach genug war, dass sie gefahrlos an Land gehen konnten. Schon schien es, als würde das Boot von den Brechern ans Ufer getragen, als es plötzlich gegen eine Klippe stieß und zur Seite geschleudert wurde. Bevor der Matrose reagieren konnte, traf eine mächtige Welle mit voller Wucht die Längsseite des Bootes und warf es um.
    Amelias Schrei wurde von den Wassermassen erstickt, als sie vom Sog in die Tiefe gezogen und von der Brandung herumgewirbelt wurde. Kaum war sie wieder aufgetaucht, wurde sie gegen etwas Hartes geschmettert. Benommen klammerte sie sich instinktiv an den Felsen fest und sog die Luft tief in ihre brennenden Lungen, als die See zurückwich und ihren geschundenen Körper mit sich zu zerren versuchte. Schon schlug die nächste Welle über ihr zusammen und raubte ihr den Atem. Sie hatte pochende Schmerzen im Kopf, in den Armen und den Beinen. Ihr langes, nasses Haar klebte ihr im Gesicht.
    Die Arme fest um einen Felsblock geschlungen, wurde sie von der Brandung abwechselnd gegen das Gestein gedrückt und von ihm weggezerrt. Die Minuten kamen ihr wie Stunden vor. Obwohl sie kein Gefühl mehr in ihren tauben Fingern hatte, krallte sie sich verzweifelt an den Felsen. Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie vom Ufer entfernt war. Irgendwann, zwischen zwei anbrandenden Wellen, gelang es ihr, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, doch sie konnte in der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Mit letzter Kraft zog sie sich an den Klippen hoch, sodass sie wenigstens den Oberkörper auf den Fels legen konnte. Ihre Beine hingen immer noch im Wasser.
     
    Amelia verlor jedes Zeitgefühl. Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, dämmerte der Morgen herauf. Sie sah, dass der Felsblock, an dem sie sich festhielt, über und über mit scharfkantigen Entenmuscheln bedeckt war. Sie blutete aus Wunden an den Fingern, Armen, Knien und Schienbeinen und war dermaßen durchgefroren, dass sie mit den Zähnen klapperte. Als sie den Kopf drehte, konnte sie in einiger Entfernung Land ausmachen – einen kahlen Steilhang, der ein Stück weiter von einem schmalen Sandstreifen unterbrochen wurde. Irgendetwas bewegte sich dort im Sand. Amelia schaute angestrengt hinüber. Es war eine Herde Seelöwen. Fasziniert und ängstlich zugleich beobachtete sie die Tiere.
    Plötzlich fiel ihr ein, dass es in den Gewässern rings um die Insel angeblich von Haien wimmelte, und hastig versuchte sie, die Beine aus dem Wasser zu ziehen. Vergeblich. Sie warf einen raschen Blick zum Leuchtturm auf dem Kliff hinauf. Das warnende Leuchtfeuer brannte noch immer. Konnte der Leuchtturmwärter sie sehen? Wusste er, dass die Gazelle unmittelbar vor der Küste gesunken war?
    Amelia hatte sich schon in der Nacht gefragt, ob die Flut kam oder die Ebbe einsetzte. Da das Wasser ihr jetzt nur noch bis zu den Füßen und nicht mehr bis zum Hals reichte, musste Ebbe sein. Folglich blieb ihr ein wenig Zeit, sich zu überlegen, wie sie sich in Sicherheit bringen könnte.
    Sie drehte sich zum Meer hin und schnappte erschrocken nach Luft. Von der Gazelle war nichts mehr zu sehen. Lediglich ein paar Trümmerteile, ein Kissen, ein Schuh, ein Koffer trieben auf dem Wasser – makabre Erinnerungsstücke an die vielen Menschen, die ihr Leben verloren hatten.
    »O Gott, bin ich die einzige Überlebende?«, schluchzte sie und schloss die Augen. Möwen kreischten über ihr, und die Wellen brachen sich an den Klippen. Noch nie hatte Amelia sich so verlassen gefühlt. Sie schloss
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