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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen
Autoren: white
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lediglich einen neuen Aussichtspunkt zum Zeichnen gesucht.
    Die anderen Damen, Gattinnen von Kolonialbeamten auf dem Weg nach Kalkutta, umflatterten Johanna und ihre Mutter.
    »Unmöglich, dieses jüngere Fräulein Uhldorff«, mäkelte Mrs Hampton, während Mrs Flockton besorgt nach Riechsalz und einem Sonnenschirm verlangte.
    Einer anderen Dame fiel es schwer, ausnahmsweise nicht im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Lautstark verschaffte sie sich Gehör: »Mir ging es das erste Mal in Ägypten ebenso, soll ich es Ihnen erzählen?«
    Nein, das sollen Sie nicht, dachte Johanna boshaft. Gänse.
    Ein lauter Ruf brachte das Geschnatter zum Verstummen. Johanna ließ ihre Mutter in der Obhut der molligen Mrs Flockton und eilte davon. Nicht weit entfernt stand Herr von Trebow, winkte mit einem kleinen Fernrohr und wies auf die Cheops-Pyramide. Die Männer liefen bereits in seine Richtung. Johanna erreichte ihn als Erste. Er lachte aus vollem Hals. »Da, sehen Sie! Am Fuß der großen Pyramide.« Er drückte Johanna das Teleskop in die Hand. Hastig führte sie es zum Auge.
    Steinblöcke erschienen in dem runden Ausschnitt, und es kostete sie Mühe zu finden, was Friedrich von Trebow entdeckt hatte. Erst mochte sie nicht glauben, dass die roségekleidete Gestalt, die sich mit Hilfe zweier in lange, unförmige Gewänder gehüllte Ägypter die unteren Stufen der Pyramide emporarbeitete, ihre Schwester sein sollte. Der weite Rock und die braunen Haare, nun vollends von Kämmchen und Nadeln befreit, ließen jedoch keinen Zweifel.
    Johanna senkte entsetzt das Fernrohr. »Um Himmels willen, was hat sie vor?«
    »Zur Spitze klettern, nehme ich an.«
    Bevor sie etwas erwidern konnte, stieß der Vater zu ihnen. »Zur Spitze? Ist das ihr Ernst?«
    »Ich fürchte, ja.«
    Johanna sah, dass sich Friedrich von Trebow das Lachen nur schwer verbeißen konnte. Empört mischte sie sich ein: »Leah ist dort allein mit den Einheimischen. Wir müssen ihr nach!«
    »Es dauert aber lange, bis alle Damen auf den Kamelen sitzen«, bemerkte Friedrich. »Ich werde schon zu Fuß hinüberlaufen. Es kann sich höchstens um fünfhundert Meter handeln.«
     
    Die Kameltreiber hatten ihre liebe Not, den etwa fünfundvierzig Mitgliedern der Gesellschaft in die unbequemen, mit Knüpfteppichen belegten Holzsättel zu helfen. Dass die aufgebauschten Röcke der Damen und ihre affektierten Schreckensrufe die Kamele nervös machten, verzögerte den Aufbruch zusätzlich. Als sie endlich am Fuß der Cheops-Pyramide anlangten, wurden sie bereits von Friedrich von Trebow und einem weiteren Gentleman erwartet.
    »Sie hat die Hälfte schon geschafft«, sagte der zweite Mann – ein Mr Tanner, meinte sich Johanna zu erinnern.
    Sie beschirmte die Augen mit der Handfläche und suchte die Pyramidenwand ab. Gerade wurde Leah von den beiden Einheimischen auf die nächste Stufe hochgezogen; allein hätte sie die brusthohen Steinblöcke der Pyramide kaum bewältigen können.
    »Leah!«, schrie sie. Als sie nicht reagierte, fielen ihre Eltern und einige andere ein. Erst beim vierten oder fünften Mal drehte sich Leah um und winkte. Die Gesellschaft brach in hektisches Gestikulieren und Rufen aus, um Leah zu bedeuten, sie möge umkehren. Johanna war sicher, dass sie die Aufforderung verstand, doch die Schwester winkte lediglich ein weiteres Mal, dann nahm sie die nächste Stufe in Angriff. Aufwärts.
    »Sie hat gegrinst«, bemerkte Mr Tanner trocken. Er hatte Leah mit von Trebows Teleskop beobachtet. »Das Mädchen imponiert mir.«
    »Es ist nicht zu fassen!« Alwine Uhldorff redete sich in Rage. »Aufsässig ist sie! Aufsässig und tollkühn. Nichts ist vor ihrer Neugierde sicher.«
    »Ich denke, damit ist sie aufs Beste für die Kolonien gerüstet.«
    Mr Tanners nüchterner Einwand verschlug Alwine Uhldorff die Sprache.
    »Lass gut sein, Alwine«, beruhigte Hermann-Otto Uhldorff sie. »Wir können es nicht ändern. So ist Leah nun mal.« In seiner Miene war keine Spur von Ärger zu erkennen.
    »Und was gedenkst du zu tun, Vater?«, fragte Johanna ein wenig zu schnippisch, doch er ignorierte ihren Ton.
    »Na was wohl? Wir folgen ihr!«
    Johanna sah erst ihn an, dann nach oben. Dort hinauf? Eine verlockende Vorstellung!
    »Du bleibst hier.« Die Stimme der Mutter durchkreuzte ihre Gedanken. »Keine Widerrede. Es reicht, wenn eine meiner Töchter sich ungebührlich benimmt. Du leistest mir und den anderen Damen Gesellschaft, während wir auf die Männer
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