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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen
Autoren: white
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und Kreuzkümmel duftete. Zum Abschluss gönnte sich Johanna ein wunderbar klebriges Gebäckstück, dessen Namen sie nicht verstanden hatte. Sie dachte an Leah. In ihrer Wut hatte die Schwester das Picknick gar nicht erst abgewartet und war tatsächlich von der Pyramide geklettert. Jetzt saß sie unten bei der Mutter und ärgerte sich. Es geschah ihr recht.
    »Sie haben einen guten Appetit«, bemerkte Mr Tanner, als sie sich ein zweites Gebäckstück nahm. »Sicherlich freuen Sie sich bereits auf das chinesische Essen. Es ist recht außergewöhnlich.«
    Johanna, den Mund voller Honig und Teig, nickte. Mr Mason, ein dicker Mann mit Dreifachkinn und Backenbart, lachte auf. »›Außergewöhnlich‹ ist eine diplomatische Umschreibung. Ich vermute, Sie werden sich nach ehrlicher englischer Küche zurücksehnen.«
    Das Geplänkel ging eine Weile hin und her, ohne dass Johanna herausfinden konnte, was so außergewöhnlich an den chinesischen Spezialitäten sein sollte. Zum Bedauern aller mussten sie bald zum Aufbruch rüsten, um beim schwierigen Abstieg nicht von der Dämmerung überrascht zu werden. Tatsächlich stand die Sonne bereits tief genug, um die spitzen Schatten der Pyramiden weit in die Länge zu ziehen.
    Sie erreichten den Fuß der Pyramide und, nach einem kurzweiligen Ritt, auch die Kutschen ohne Zwischenfälle. Johanna hatte Spaß an dem Kamelritt gehabt und tätschelte dem Tier zum Abschied die weiche Schnauze. Sie wollte gerade in die wartende Kutsche steigen, als ihr ein paar Bauernbengel auffielen, die in einiger Entfernung einen Esel umstanden. Die Jungen spielten mit einem Gegenstand, der ihr bekannt vorkam. Sie ging zu Leah.
    »Ich glaube, der Esel dort trägt deinen Hut.«
    »Wie bitte?« Leah kniff die Augen zusammen und beobachtete die Szene. Ihre Schultern sackten nach unten. »Der ist hin, fürchte ich«, sagte sie kleinlaut.
    Johanna konnte sich nicht mehr zurückhalten. Lachend nahm sie die Jüngere in den Arm. »Ich liebe dich, kleine Schwester. Weil es mit dir nie langweilig ist.«
    * * *
    Am nächsten Mittag, eingezwängt in unbequeme Kutschen, befand sich die Gesellschaft bereits auf halbem Weg nach Suez. Den Vormittag über hatten die Passagiere gedöst oder ihren Gedanken nachgehangen, doch nun wurden die Gespräche lebhafter. Mrs Flockton war sichtlich entzückt, mit dem deutschen Missionar in einer Kutsche zu sitzen.
    »Sie wollen also die Wilden bekehren?«, fragte sie eifrig.
    Hermann-Otto Uhldorff zog die Brauen hoch. »Nicht die Wilden, Madame. Die Chinesen sind ein Volk mit einer faszinierenden und sehr alten Kultur.«
    »Wenn Sie eine derartige Hochachtung vor dieser sogenannten Kultur haben, verstehe ich allerdings nicht, was Sie dort wollen.«
    Johanna und ihr Vater tauschten einen Blick. Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Wie oft hatte er dieses Gespräch schon führen müssen!
    Hermann-Otto Uhldorff beugte sich vor, ein schwieriges Unterfangen in der schwankenden Kutsche, und setzte eine ernste Miene auf. »Es mag Ihnen widersprüchlich vorkommen, liebe Mrs Flockton, aber Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Ich bewundere die chinesische Kultur. Nun bin ich aber ein Mensch, der daran glaubt, dass auch das Gute verbessert werden kann. Warum sollte also ein Chinese nicht den christlichen Glauben umarmen?«
    Touché, dachte Johanna. Die dicke Mrs Flockton schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, denn sie wandte sich demonstrativ der Aussicht zu. Nicht, dass diese sonderlich erbauend war; seit sie Kairo hinter sich gelassen hatten, gab es nichts zu bewundern außer Sand, Sand und nochmals Sand, der sich mittlerweile seinen Weg in die Schuhe und unter die Kleidung bahnte, zwischen den Zähnen knirschte und die Augen rötete. Die Fahrt in der vierspännigen Kutsche war diesbezüglich alles andere als ein Vergnügen. Johanna freute sich auf die abendliche Ankunft in Suez, auch wenn sie allen Grund hatte, die Reise zu genießen: Ihr wunderbar verständnisvoller Vater hatte es am Morgen eingerichtet, dass sie sich mit den Flocktons, deren schweigsamer Dienerin sowie Friedrich von Trebow eine Kutsche teilten.
    »Ich bewundere Ihre Ideale, Herr Uhldorff«, nahm Herr von Trebow den Faden nach einer unbehaglichen Gesprächspause wieder auf. »Mein Grund, in den Osten zu gehen, ist profaner: Ich will reich werden.«
    »Daran kann ich nichts Ehrenrühriges erkennen, zumal in meiner Situation.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Wie sollten Sie«, antwortete Hermann-Otto Uhldorff.
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