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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen
Autoren: white
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warten.«
    Johanna war den Tränen nahe. Die Mutter schlug ihr den Wunsch ab, bevor sie ihn überhaupt äußern konnte! Sie presste die Lippen zusammen. Aus ihrem Mund würden keine Klagen kommen, und sie würde nicht bitten. Zu ihrer Überraschung trat Friedrich von Trebow neben die Mutter und verbeugte sich formvollendet.
    »Liebe Frau Uhldorff, ich kann verstehen, dass Sie sich um Fräulein Johanna sorgen«, sagte er ernst. »Es ist eine gefährliche Kletterei, doch Sie würden mich glücklich machen, wenn Sie ihr die Erlaubnis für das Unternehmen erteilten. Ich bürge persönlich für ihre Sicherheit.«
    Johanna traute ihren Augen nicht. Ihre Mutter schmolz unter von Trebows Lächeln dahin. Eben noch streng und unnachgiebig, wurden ihre Züge nun weich. Kokett legte sie ihre Hand auf den Arm des jungen Mannes.
    »Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass sich diese Kletterpartie nicht für eine Dame schickt, doch wie könnte ich Ihnen eine Bitte abschlagen, Herr von Trebow? Aber ich nehme Sie beim Wort: Sie bürgen mir für Johannas Wohlergehen.«
    Galant gab er ihr einen Handkuss. »Ich werde sie notfalls auf Händen hinauf- und hinuntertragen.«
    Bevor Johanna verstand, was sich zwischen Friedrich von Trebow und ihrer Mutter abspielte, dirigierte er sie bereits zu einer Gruppe Ägypter, die bereitstanden, den Wagemutigen auf die Pyramide zu helfen.
    »Schnell«, flüsterte er. »Bevor Ihre verehrte Frau Mama es sich anders überlegt.«
     
    Johanna streckte die Arme aus. Der kräftige Ägypter auf dem Block über ihr griff nach ihren Händen und zog sie eine weitere Stufe nach oben. Nur noch zehn, vielleicht elf Mal musste sie die entwürdigende Tortur über sich ergehen lassen. Gott sei Dank. Mit einem leichten Schaudern blickte sie hinunter. Sie hatte nicht gezählt, aber es kam ihr vor, als hätte sie auf dem Weg zur Spitze bereits Hunderte von Stufen bewältigt. Tief unter ihr hatten sich die weniger abenteuerlustigen Mitglieder der Reisegesellschaft auf Decken niedergelassen. Kurz beneidete Johanna ihre Weisheit, die Strapazen nicht auf sich genommen zu haben, doch dann straffte sie die Schultern. Sie war achtzehn Jahre alt, und was Leah konnte, konnte sie schon lange. Gerade erklomm ihr Vater den Block unter ihr. Er wirkte erhitzt und mit seinem verstaubten Anzug und der schiefen Krawatte ein wenig derangiert, doch seine Laune war trotz der Anstrengung blendend. Sein verschwörerisches Grinsen sprach Bände. Zärtlichkeit für ihren Vater wallte in ihr auf. Auch in ihr strömte sein Blut, auch sie hatte ein wenig von seiner übersprudelnden Lebensfreude und seiner durch nichts zu bremsenden Neugierde geerbt. Sie dachte an den folgenschweren Abend, an dem der Vater ihnen eröffnet hatte, er würde gern als Missionar nach China gehen, allerdings nicht ohne sie. Leah war natürlich Feuer und Flamme gewesen, und der Funke ihrer Begeisterung sprang auch auf Johanna über. Zu dritt beknieten sie die zögernde Mutter, bis sie endlich einwilligte. Im Gegensatz zu Leah und ihrem Vater war Johanna im Vorbereitungstrubel der nächsten Monate oft von Zweifeln gepackt worden, doch sie hatte ihre Entscheidung nicht bereut. Ägypten war nur die Ouvertüre, es warteten noch so viele Wunder auf sie alle!
    Wenige Minuten später erreichte Johanna den Gipfel. Da die Spitze der Pyramide vor undenklich langer Zeit abgetragen worden war, fand sie sich auf einer etwa zehn Meter im Quadrat messenden Plattform wieder. Friedrich von Trebow trat neben sie und breitete die Arme aus. »Ein erhebender Ausblick.«
    Sie nickte. Die Wüste dehnte sich nach Westen bis in die Unendlichkeit, eine gelb-graue Welt ohne Wasser, ohne Leben, ohne Hoffnung, und doch ging eine Faszination von der Leere aus, der sich Johanna nicht entziehen konnte. Sie schauderte trotz des heißen Windes, den die Sahara ihr ins Gesicht atmete, drehte sich um und ging zur entgegengesetzten Seite der Plattform. Hier bot sich ein ganz anderes Bild. Zwischen den Pyramiden von Gizeh und dem in der Ferne funkelnden Nil breitete sich ein Flickwerk von Feldern aus. In lichter Folge ragten Dattelpalmen in den Himmel, die fedrigen Blätter von einer Brise zerzaust. Inmitten der Felder wirkten die kleinen Dörfer mit ihren schmucklosen quaderförmigen Häusern wie hingewürfelt.
    Als sich Johanna von der Aussicht abwandte, entdeckte sie Leah hinter einem Steinquader. Ihre Schwester hatte einen der Ägypter, der ihr die Pyramide hinaufgeholfen hatte, als Modell
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