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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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erst sehr viel später derartige Verfolgungen beendeten.
     
    Die skeptische Haltung der spanischen Inquisition wurde von den Kardinalinquisitoren der römischen Schwesterorganisation geteilt. Das war ihnen freilich nicht in die Wiege gelegt. In dennorditalienischen Gebirgstälern der Grafschaft Como brachten in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts Dominikanerinquisitoren Hunderte von Hexen auf den Scheiterhaufen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts jedoch setzte sich bei den Vertretern des
Sanctum Officium
eine zunehmende Zurückhaltung durch. Als etwa 1569 der später heiliggesprochene Reformbischof von Mailand, Carlo Borromeo (gest. 1584), in seiner Diözese gegen einige angeklagte Hexen vorging, mahnte der Kardinalinquisitor in Rom eine genauere Untersuchung des
Corpus delicti
an. Zu einer Schlüsselerfahrung wurden die Prozesse, die 1593/94 in Bitonto (Apulien) von Bischof Flaminio Parisi geführt wurden. Einige Besessene klagten nicht nur sich selbst, sondern auch andere Personen der Hexerei an. Bald griff die römische Inquisition in Gestalt des Konsultors Giulio Monterenzi ein. Dieser ließ einige der Beschuldigten nach Rom überführen, wo das Verfahren vom Heiligen Offizium unter Beteiligung von Papst Klemens VIII. (1592–1605) persönlich weitergeführt wurde. Es endete mit der Amtsenthebung der Ankläger, Bußen für Denunzianten und der Rehabilitation der Beschuldigten.
    Sein in der Praxis erworbenes Fachwissen in Sachen Hexereiverfahren fixierte der Konsultor Monterenzi in einer wohl zwischen 1593 und 1603 verfaßten Verfahrensmaxime. Desiderio Scaglia (1568–1639), seit 1621 Kardinalinquisitor, überarbeitete diese erste, heute nicht mehr erhaltene Version und schuf damit eine Hexenprozeßinstruktion, deren Präambel ein ebenso nüchternes wie beeindruckendes Plädoyer für prozedurale Zurückhaltung darstellt: «Die Erfahrung, Lehrmeisterin der Dinge, zeigt deutlich, daß täglich bei der Führung von Prozessen gegen Hexen […] sehr schlimme Fehler begangen werden, zum höchsten Schaden sowohl der Gerechtigkeit als auch der angeklagten Frauen, so daß […] kaum jemals ein Prozeß richtig und rechtmäßig ablief, sondern daß es meistens notwendig war, zahlreiche Richter zu tadeln wegen ungebührlicher Quälereien, Nachforschungen und Verhaftungen sowie verschiedener schlechter und unerträglicher Methoden bei der Anlage der Prozesse, der Befragung der Angeklagten, exzessiven Folterungen, so daß bisweilen ungerechte und unangemessene Urteile gefälltwurden, sogar bis zur Todesstrafe und der Überlassung an den weltlichen Arm.»
    1624 zum ersten Mal erwähnt, zirkulierte die Instruktion jahrzehntelang als interne Anweisung, bevor sie 1657 offiziell gedruckt wurde. Gegen die Leichtfertigkeit und Leichtgläubigkeit vieler Richter, die aufgrund schwacher Indizien starke Urteile fällten, bestand die Richtlinie auf einem korrekten Verfahren: Denunziationen von Mitangeklagten («Besagungen») wurden prinzipiell für unzulässig erklärt, die Ermittlung des
Corpus delicti
eingefordert, ebenso die Einholung von medizinischen Gutachten über die – natürlichen oder zauberischen – Ursachen eines Todesfalls. Festgeklopft wurde überdies der Anspruch von Angeklagten auf eine faire Verteidigung und auf einen Rechtsbeistand, endlich auf angemessene Haftbedingungen. Es war kein grundlegender Unglauben gegenüber der Möglichkeit von Hexerei, der hier formuliert wurde, sondern eine pragmatisch motivierte Skepsis gegenüber einem unrechtmäßigen und übereilten Verfahren, das Unschuldige bedrohte. Prozesse wegen abergläubischer Ausübung von Magie und auch wegen Zauberei waren weiterhin denkbar und kamen auch vor. Bis ins 18. Jahrhundert hinein finden sich einzelne Verfahren gegen Geisterbeschwörer, Zauberer, Hostienfrevler und Schatzgräber vor den Tribunalen der römischen Inquisition. Aber Hexenprozesse in dem Sinn, wie sie nördlich der Alpen massenhaft geführt wurden, hören im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts im Machtbereich der römischen Inquisition völlig auf. Auf der Grundlage der Instruktion intervenierte das Heilige Offizium überdies in nordeuropäischen Hexereiverfahren und rettete zumindest in Einzelfällen Angeklagte vor dem sicheren Tod auf dem Scheiterhaufen. Obwohl sie zu den Geburtshelfern der Hexereivorstellung gehört hatte, so zeigt dies Beispiel eindrücklich, zählte die Inquisition im Zeitalter der Massenverfolgungen eher zu den Bremsern.

VII. Mythos
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