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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns
Autoren: Ingrid Riedel
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die eigenen Schwächen zu wissen, um unsere »Schattenseiten«, und sich auch auf sie ansprechen zu lassen. Mit den unaufhebbaren Schwächen von Menschen zu leben, die sich auch darauf ansprechen lassen, im Wissen, wie stark sie damit belasten können, ist allemal möglich und auch tröstlich.
    In gleichem Maße, in dem wir um eigene Schwächen wissen, sie durchschauen und uns selber zugestehen können, werden wir auch verstehender, gütiger gegen andere. So kann es gelingen, uns Schritt für Schritt mit allen den wichtigen Menschen und Beziehungspartnern unseres Lebens innerlich zu verständigen und auszusöhnen, wo es noch nötig ist. Dies tun wir nicht nur für die anderen, wenn wir es tun, wir tun es vor allem auch für uns selbst, für eine versöhnte Lebensgeschichte, in der kein verborgenes Gift mehr schwelt, das uns Kräfte rauben könnte.
    Im Alter kann auch wichtig werden, manche der einst vertrautenMenschen, die uns durch äußere Umstände weit entrückt wurden, wieder aufzuspüren: Plötzlich finden wir beim Aufräumen einen alten Brief, der uns anrührt. Plötzlich steht diese alte Freundin, dieser Freund uns wieder gegenwärtig vor dem inneren Auge, zusammen mit der ganzen Atmosphäre der Zeit damals, in die er oder sie gehört, in der sie uns besonders wichtig waren, in die Studienzeit vielleicht oder eine andere wichtige berufliche Etappe; ein Ort fällt uns ein, eine bestimmte Landschaft, in der wir damals lebten und miteinander spazieren gingen, wanderten und uns viel zu erzählen hatten. Und nun regt sich der Impuls: Warum nicht bei ihm, bei ihr anrufen? Warum nicht die Adresse heraussuchen, notfalls herausfinden, um einmal wieder zu schreiben? Wie gut, wenn er oder sie überhaupt noch lebt, noch unter uns ist, aufsuchbar und auffindbar!
    Ein weiteres Stück fügt sich zum schon zusammenwachsenden Ganzen unserer Lebensgeschichte, wenn ein weiterer Mensch, der dazugehört, wieder »aus der Versenkung« gehoben und unseren aktuellen Erinnerungen angeschlossen wird – ob er nun wirklich wieder aufgesucht werden kann oder nicht. Auch die gleichsam historisch gewordenen Beziehungen, die nicht aktualisiert werden können, gehören dazu, haben uns schließlich geprägt, wir haben uns auch an ihnen entwickelt. Und manche haben aus uns etwas herausgeholt, vielleicht sogar »herausgeliebt«, was ohne die Begegnung mit eben jenen Menschen für uns und in uns nicht möglich geworden wäre. Dankbarkeit hierfür kann aufkommen und dazu beitragen, dass die betreffenden Menschen noch bewusster in das Erinnerungs-Mosaik unseres Lebens eingefügt werden und dort den angemessenen Platz einnehmen.
    Was ist dann aber mit denen – die Frage lässt sich nicht ganz unterdrücken –, die wir wirklich verloren haben, die sich vielleicht im Zorn oder doch mit Enttäuschung von uns abgewandt haben, sich von uns trennten und zu denen wir von uns aus jetzt keinen Zugang mehr haben? Besonders schmerzlich ist es ja, wenn sich eine fast lebenslange Freundschaft odergar Partnerschaft ausgerechnet jetzt im Alter auflöst, trennt, während jetzt doch alles zur Integration der Lebensgeschichte drängt.
    Andererseits: Es ist so selten nicht, dass alte, mitgealterte Freundschaften, Partnerschaften, auch Ehen unter dem Prüfstein auf weitere Gültigkeit, der das Alter auch ist, nicht länger standhalten. Manchmal kann das wesentliche, authentische Stück Leben, das das Alter auch sein kann und sein will, vielleicht der lebenslange Kompromiss gegenüber dem eigenen Wesen und dessen Bedürfnissen, den manche Beziehungen ebenfalls darstellen, nicht länger ertragen werden.
    Es habe ihr fast das Herz gebrochen, sich nach einer so langen Zeit der Verbundenheit zu trennen, sagte mir eine Frau nach ihrem Abschied aus vierzig Jahren Ehe. Doch es wäre höchste Zeit geworden, sich aus der blockierenden Abhängigkeit von ihrem Partner zu lösen und ihr ureigenes Leben zu wagen.
    Neben der Integration der Lebensgeschichte nämlich ist die Gewinnung von Authentizität und innerer Freiheit das Höchste im Leben der späteren Jahre. Hierfür werden in manchen Fällen auch Opfer gebracht, Opfer an Vertrautheit, Verbundenheit und Schutz durch die lange mit uns verbundenen Menschen, um einer inneren Freiheit willen, die mit steigendem Lebensalter ein immer unverzichtbarerer Wert wird.
    Als das schrecklichste Ereignis im Alter überhaupt darf andererseits der Verlust des langjährigen Lebenspartners oder der Lebenspartnerin gelten, sei es eben durch
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